i-Voting in Estland

Wählen in Deutschland: am Sonntag ins Wahllokal gehen, dort in der Schlange stehen und warten, schließlich in der Kabine das Kreuzchen setzen. Die einzige Alternative hierzulande ist die Briefwahl. Online wählen? Für viele unvorstellbar. In Estland ist die Wahl am Computer dagegen längst Realität.

Estland gilt als Vorreiter in Sachen Digitalisierung. Das Land wirbt damit, dass fast alle öffentlichen Dienstleistungen digital nutzbar sind und man nur noch für Heirat und Scheidung beim Amt erscheinen muss. Grundlage für die Nutzung der vielen digitalen Angebote ist die e-ID, durch die die Est*innen mithilfe ihres Personalausweises oder einer App die Möglichkeit haben, im Internet ihre Identität nachzuweisen. Die Ursprünge dieses Systems liegen in den 1990ern: nach der Unabhängigkeit Estlands im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion stand die Politik vor der Herausforderung, eine komplett neue, kostengünstige sowie effiziente Verwaltung zu schaffen. Viele Politiker*innen erkannten in dieser Zeit die Chancen digitaler Technologien und priorisierten die Nutzung dieser in der Verwaltung. Bereits 1996 konnten die Einwohner*innen Estlands Onlinebanking nutzen, in den folgenden Jahren kamen stetig neue Angebote in den meisten Bereichen des alltäglichen Lebens hinzu.

2005 führte Estland als erstes Land weltweit die Wahl per Internet, auch i-Voting genannt, ein. Um online wählen zu können, werden ein internetfähiger Computer und die digitale ID, alternativ der Ausweis und ein Kartenlesegerät, das man in Computershops kaufen kann, benötigt. Um wählen zu können, muss man sich mithilfe der eigenen ID registrieren, woraufhin die Liste mit den Kandidat*innen erscheint. Um sicherzustellen, dass ein versehentlicher Klick nicht zur Wahl der/des Falschen führt, muss die Wahl durch die Eingabe einer Pin bestätigt werden und wird erst dann in verschlüsselter Form in die elektrische Wahlurne abgeschickt. Dort wird sie nach Prüfung der Wahlberechtigung anonymisiert und nach Wahlende ausgewertet. Die Wähler*innen können mithilfe eines QR-Codes überprüfen, ob ihre Stimmen angekommen sind. Gewählt werden kann über einen, im Vergleich zur analogen Wahl, langen Zeitraum, von Montag 9:00 Uhr bis Samstag 18:00 Uhr in der Wahlwoche. Parallel zum i-Voting bestehen aber immer noch die „klassischen Wahlmethoden“.

Bei den Parlamentswahlen 2007 nutzten nur 5,5 % der Wähler*innen die Möglichkeit des i-Votings. In den darauffolgenden Jahren stieg die Zahl der Nutzer*innen jedoch beständig. Bei den Parlamentswahlen 2023 nutzen bereits 51 % der Wählenden das Angebot, was bedeutet, dass ungefähr ein Drittel der Wahlberechtigten online wählte. Die wachsende Beliebtheit ist verständlich: die Wahl per Internet ermöglicht es, aus den meisten Ländern zu wählen, ohne Briefwahl beantragen zu müssen. Das ist vor allem für Est*innen, die im Ausland leben, ein Vorteil. Gleichzeitig ist es für viele bequemer und praktischer, insbesondere in ländlichen Regionen.

Estlands Verfassung besagt, dass Wahlen allgemein, unmittelbar, frei und gleich sein müssen und dass die Stimmabgabe geheim erfolgen muss. Dieses Prinzip soll auch beim i-Voting gelten. Zur Wahrung des Wahlgeheimnisses können die online abgegeben Stimmen bis zum Wahlende geändert werden. Die letzte abgegebene Stimme wird dann gezählt. Wenn jemand doppelt gewählt hat, also im Wahllokal war und seine Stimme online abgegeben hat, wird die analoge Stimme gezählt, die digitale annulliert. So soll verhindert werden, dass Stimmen „gekauft“ werden.

Das i-Voting System ist so aufgebaut, dass es eine Manipulation des Wahlergebnisses verhindern soll. Der Schutz vor Cyberangriffen wird etwa durch eine doppelte Verschlüsselung des Programms verstärkt. Der Verlauf des Programms ist als Protokoll verfügbar, sodass überprüft und ausgeschlossen werden kann, dass das Programm gehackt und die Wahl beeinflusst wurde.

Online wählen – in Zukunft auch in Deutschland? Wohl kaum. Denn obwohl es in den frühen 2000ern Bestrebungen gab, die Wahl per Internet auch in Deutschland zu ermöglichen, ist momentan nicht davon auszugehen, dass sie in naher Zukunft eingeführt wird. 2009 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass die Bürger*innen bei Einsatz elektronischer Geräte die Möglichkeit haben müssen, den Verlauf ihrer Wahl zu verstehen und nachzuverfolgen. Seitdem gibt es keine politischen Bestrebungen mehr, eine Wahl per Internet einzuführen.

Und dennoch: Estland ist in puncto Digitalisierung ein Vorbild für viele Deutsche. Vielleicht wird es sogar eines Tages in Deutschland möglich sein, vom eigenen Computer aus zu wählen oder sich dank digitaler Angebote den ein oder anderen Behördengang zu sparen.

Quellen: