Sprachliche Verbindungen im Laufe der Geschichte: Ungarische Lehnwörter im Deutschen

 

  1. Einleitung

Die Begegnungen der Ungarn mit den Deutschen (seit dem 9. Jh.) und die Ansiedlung der Deutschen in Ungarn (seit dem 10. Jh.) brachten nicht nur kulturelle Einflüsse mit sich, sondern auch einen regen Austausch von Lehnwörtern zwischen den beiden Sprachen. Im Folgenden werden einige Beispiele vorgestellt, um aufzuzeigen, wie Wörter wie Husar, Kutsche, Tollpatsch und Gulasch ihren Weg in die deutsche Sprache gefunden haben. Diese Wörter sind nicht nur linguistische Zeugen der deutsch-ungarischen Geschichte, sondern spiegeln auch die kulturellen Verbindungen wider.

  1. Geschichte der deutsch-ungarischen Begegnungen

Die Geschichte der deutschen Ansiedlung in Ungarn erstreckt sich über verschiedene Etappen.

Die Ungarn hatten bereits in den Jahrzehnten vor der Landnahme (895/896) Kontakt zu deutschsprachigen Volksgruppen: ungarische Truppen griffen in den frühen 860er Jahren auf Raubzügen das Ostfränkische Reich an. In dieser Zeit hatten die Ungarn mehrere Erkundungs- und Plünderungszüge im heutigen Westtransdanubien unternommen, und es ist gut möglich, dass durch diese sporadischen und losen Kontakte deutsche Wörter ins Ungarische eingeführt wurden, obwohl wir keine schriftlichen Quellen haben, die dies bestätigen.

Im 11. Jh. kamen Deutsche, darunter hohe Geistliche, Adelige und Beamte, mit Königin Gisela nach Ungarn. Ab dem 12. Jh. folgten Kaufleute, Handwerker und Bauern, die zur Entwicklung der Industrie beitrugen und u.a. die Bergmannssprache entwickelten. Sie gründeten ihre Städte in Westungarn, Oberungarn, Binnenungarn und Siebenbürgen. 

Die deutsche und ungarische Sprache hatten also Kontakte im höfisch-kirchlichen und bürgerlich-bäuerlichen Bereich: es wurden Namen sowie Wörter aus den Bereichen Religion, Adel, Kirche, Landwirtschaft und Bürgertum entlehnt. Im Laufe der Zeit spielte auch die österreichische Verkehrs- und Verwaltungssprache sowie die deutsche Standardsprache in den Sprachkontakten eine wichtige Rolle. Die Besiedlung durch Deutsche führte auch zur Verbreitung der Zweisprachigkeit, wobei deutsche und ungarische Elemente in beide Sprachen integriert wurden. Zudem studierten seit dem 14. Jh. ungarische Studenten an deutschen Universitäten und trugen zu den Sprachkontakten bei. 

Die Sprache des ungarländischen Schrifttums war bis zur ersten Hälfte des 14. Jh. Latein. Später erschienen ungarischsprachige und – hauptsächlich im Westen Ungarns – auch deutschsprachige Urkunden. Nach dem Magdeburger Recht, einer aus der Stadt Magdeburg stammenden Form des Stadtrechs, wurden in verschiedenen Städten Ungarns Rechtsbücher in deutscher Sprache verfasst: 1378 in Sillein/Zsolna, 1435-1450 in Ofen/Buda.

In Ungarn lebten und wirkten deutsche Literaten wie Liebhart Eggenfelder (1387-1457), Stadtschreiber von Ödenburg/Sopron und Pressburg/Pozsony oder der Dichter Hans Wiener aus Ödenburg/Sopron (16. Jh,).

Nach der Befreiung von der türkischen Herrschaft (1526-1686) erfolgte eine große Wanderungsbewegung von deutschen Siedlern, der sog. “große Schwabenzug”. Sie kamen in drei Wellen: unter Kaiser Karl VI. (1722-1726, Karolinische Kolonisation), unter Maria Theresia (1763-1773, Theresianische Kolonisation) und unter Joseph II. (1782-1787, Josephinische Kolonisation). Deutsche Bürger waren in ungarischen Städten zunehmend präsent, und Deutsch wurde zwischen 1784 und 1790 auch als Amtssprache Ungarns verwendet.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die ungarische Hälfte des Habsburgerreichs durch die Unterzeichnung des Friedensvertrag von Trianon (1920) unter sechs Staaten aufgeteilt. Von den ursprünglich 21 Millionen Einwohnern fanden sich mehr als 50% in den Nachbarstaaten wieder – ethnische Ungarn, aber auch Ungarndeutsche. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ein Großteil der Ungarndeutschen vertrieben und die, die in Ungarn blieben, trauten sich nicht, Deutsch zu sprechen. Ein großer Sprachverlust war die Folge.

Heute leben ca. 200 000 Ungarndeutsche in Ungarn und bilden die zweitgrößte ethnische Minderheit des Landes. Obwohl der Dialekt der Ungarndeutschen umgangssprachlich oft als “Schwobisch” bezeichnet wird, sprechen heute tatsächlich nur etwa 2% der Ungarndeutschen Schwäbisch.

  1. Die ungarischen Lehnwörter der deutschen Spache

Hier werden Lehnwörter vorgestellt, die im gesamten deutschen Sprachgebiet bekannt sind und ihren Weg ins Hochdeutsche gefunden haben.

  1. Husar

Der Begriff Husar tauchte im 15. Jh.in der deutschen Sprache auf und bezeichnete einen berittenen ungarischen Soldaten, später einen Angehörigen einer leichten Reitertruppe, der meist eine an ungarische Uniformen angeglichene Kleidung trug. Das Wort wurde aus dem Ungarischen entlehnt, huszár bedeutet dort einen bewaffneten leichten Reiter. Früher wurden auch in Dienste stehende berittene Räuber – Mitglieder der unter Matthias Corvinus (1443-1490) aus herumstreifenden Bauernburschen entstandenen Reiterei – huszár genannt, durch sie wurde die Bezeichnung in Europa bekannt. Im Ungarischen ist es ein kroatisches Lehnwort, hȕsār, gȕsār oder früher gursar und kursar, mit der Bedeutung ‘Seeräuber, Pirat, Freibeuter’. Diese Wörter wiederum haben ihre Wurzeln im Lateinischen mit cursarius oder corsarius, abgeleitet von lat. cursus, was ‘Lauf, Fahrt, Weg, Gang’ bedeutet.

  1. Kutsche

Das Wort Kutsche stammt ebenfalls aus dem Ungarischen: ung. kocsi ist eine Verkürzung, die im Jahr 1493 entstand. Es leitet sich von kocsi szekér ab, was ‘Wagen aus Kocs’ bedeutet. Kocs ist ein Ort im nordungarischen Komität Komárom-Esztergom, der sich auf der Strecke zwischen Wien und Buda befindet. Er diente als Station für den Pferdewechsel für den regelmäßigen Reisewagendienst zwischen den beiden Städten. Man kann sich vorstellen, dass Gruppen von Studenten aus Ungarn, die an der Universität Wien studierten, diesen bereits im 15. Jh. bestehenden Dienst oft genutzt haben. Der Wagen aus Kocs war leicht und wurde von drei Pferden gezogen. Im Deutschen wurde die Kutsche anfangs als Cotschien Wägnen, Gutschenwagen, Gotschiwagen, Gotzig Wegen, oder Kutzschwagen bezeichnet, später entstanden die Wörter Gutsche, Gotzi, Kotsche und Kutze.

  1. Tollpatsch

Ein Tollpatsch ist heute ein ungeschickter, unbeholfener Mensch. Mit dem ungarischen Wort talpas ‘mit Sohle versehen; breitsohlig, groß-, breitfüßig’ – abgeleitet von ung. talp ‘Sohle’ – wurde im 17. Jh. ein ungarischer Infanterist, der anstelle der Schuhe breite, mit Schnüren befestigte Sohlen an den Füßen trug, bezeichnet. Im Oberdeutschen entwickelte sich im 18. Jh. zunächst die Bedeutung ‘Soldat des österreichisch-ungarischen Heeres, der nur unbeholfen deutsch spricht’. Ende des 18. Jh. entstand mit der Verbreitung des Wortes im übrigen deutschen Sprachgebiet die Bedeutung, die wir heute kennen.

  1. Gulasch

Gulasch ist ein Gericht aus Ungarn, bestehend aus Fleischwürfeln in einer mit Paprika gewürzten Soße. Das Wort Gulasch ist im Deutschen seit der Mitte des 19. Jh. bekannt und wurde über österreichische Vermittlung aus dem Ungarischen entlehnt. Das ungarische gulyás ist wiederum eine verkürzte Form von gulyás hús, was ein scharf gewürztes Fleischgericht bezeichnet. Dieses Gericht wurde traditionell von Rinderhirten in einem Kessel gekocht, daher auch der Name Rinderhirtenfleisch. Die ungarischen Wörter gulyás und gulás ‘Rinderhirte’ leiten sich von gulya und gula ‘Rinderherde’ ab.

  1. Schlussfolgerung

Die Erforschung dieser Lehnwörter und der deutsch-ungarischen Sprachkontakte zeigt eine spannende Geschichte und enge Verbindung zwischen dem Deutschen und dem Ungarischen. Sprache und Kultur verbinden Menschen über Grenzen hinweg und prägen sich gegenseitig. Dieser fortlaufende Einfluss ist bis heute spürbar und bereichert beide Sprachen. Es stellt sich die Frage, wie diese anhaltenden sprachlichen und kulturellen Austausche zwischen Ländern auch in Zukunft unsere globale Vernetzung gestalten und neu definieren werden.

  1. Quellen

Fichtner, Karin: Die Donauschwaben. https://blog.stud.uni-goettingen.de/finnougristik/2018/03/22/die-donauschwaben, abgerufen am 07.07.2023.
​​
Gerstner, Károly: Német jövevényszavak. In: Kőszeghy, Péter – Tamás, Zsuzsanna (red.): A magyar régiség művelődéstörténetének adatbázisa (a kezdetektől a 18. század végéig). http://mamul.iti.mta.hu/MAMUL6/mamul_view.php?editid1=176, abgerufen am 07.07.2023.

Mollay, Karl – Bassola, Peter (2004): XIX. Das Deutsche Im Sprachenkontakt I: Systematische Und Soziologische Aspekte: 206. Ungarisch/Deutsch. In: Sprachgeschichte 4 Teilband: Ein Handbuch zur Geschichte der Deutschen Sprache und Ihrer Erforschung (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft; Band 2.4). 3218-3229.

OpenAI (2023): ChatGPT (Version 3.5). https://openai.com, abgerufen am 06.07.2023. 

Wolfgang Pfeifer et al. (1993): Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache. https://www.dwds.de/d/wb-etymwb, abgerufen am 06.07.2023.Wissen.de: Wahrig Herkunftswörterbuch: Tollpatsch. https://www.wissen.de/wortherkunft/tollpatsch, abgerufen am 06.07.2023.

Titelbild: Than, Mór: Pihenő Károlyi-huszárok. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Than_Karolyi_huszarok.jpg#/media/Fájl:Than_Karolyi_huszarok.jpg, Public Domain

Text: Erik Duchnowski, Boston University Academy, Boston (USA)

Finnougristik – ein untypisches Praktikum

Liv Kallender, Schülerin am Gymnasium an der Stadtmauer Bad Kreuznach, war im März 2023 während der Semesterferien für ein zweiwöchiges Schnupperpraktikum an unserem Seminar. In ihrem Bericht schreibt sie über ihre Erfahrungen als Praktikantin.

Ich wurde vor meinem Praktikum tatsächlich öfter auf dieses angesprochen und gefragt, was ich dort an der Göttinger Universität machen würde und was Finnougristik überhaupt sei. Tatsächlich wusste ich dies im Voraus selber nicht so genau, die Wahl meines Praktikums fiel eher spontan aus und die Thematik des Seminars kannte ich selbst, um ehrlich zu sein, auch nicht. Doch die „Stellenanzeige“ für ein Schüler*innenpraktikum am Finnisch-Ugrischen Seminar weckte mein Interesse und nachdem ich mich erkundigt hatte, entschied ich mich, dort mein Berufspraktikum zu absolvieren. Denn die Finnougristik und die genannten Tätigkeitsfelder während des Praktikums nannten Aspekte, die mich sehr interessierten.

Tätigkeitsbereiche

Genau diese Aspekte – das Verfassen von Blogbeiträgen, Erforschung fremder Kulturen, Sprachen und Literaturen und das Arbeiten an Universitäten – wurden dann auch während meines Praktikums aufgegriffen. Schon von Beginn an, ab meiner Einführung in das Seminar und meiner ersten Aufgabe, dem Verfassen eines Blogbeitrags zu Minna Canth, bereitete mir die Arbeit am Seminar viel Spaß. Ich widmete mich anfangs dem Studierendenblog und verfasste nach dem Beitrag zu Minna Canth zwei Beiträge zu Sándor Petőfi, einem ungarischen Dichter. Auch die dazugehörigen Recherchen sind höchst interessant für mich gewesen. Ab der Mitte der ersten Woche beschäftigte ich mich mit der Thematik des Seminars und dessen Vorbereitungen des Unterrichts und legte dabei ein besonderes Augenmerk auf das Volk der Udmurten. Die kommenden Tage vervollständigte ich meine Notizen zu diesem Thema, legte passende PowerPoint-Folien an und arbeitete nebenbei an einem Blogbeitrag zur Parlamentswahl in Finnland. In den letzten Tagen meines Praktikums widmete ich mich meinem selbst ausgesuchten Themenfeld, den Frauenrechten in Ungarn. Hierzu recherchierte ich und verfasste zu den Rechten der Frau und zu Homosexualität in Ungarn drei Blogbeiträge, die nach meinem Praktikum publiziert wurden. Allgemein kann ich sagen, dass meine Tätigkeiten sehr interessant waren und mir viel Spaß bereitet haben. Auch diese jetzt im Nachhinein anhand von öffentlichen Beiträgen zu sehen, ist eine super schöne Erfahrung und Erinnerung an diese.

Erwartungen

Meine Erwartungen, die eigentlich nur daraus bestanden, die Zeit zu genießen, die Thematik besser kennenzulernen und Spaß bei den bevorstehenden Arbeiten zu haben, wurden übertroffen. Außerdem lernte ich während meiner Zeit am Seminar wichtige Sachen, die mir in Zukunft, vor allem im Schul- und Berufsleben, weiterhelfen werden, das wissenschaftliche Arbeiten ist hierbei mein wichtigster Aspekt.

Wie man bereits merkt, war das Praktikum eine sinnvolle Erfahrung für mich, die in positiver Erinnerung bleiben wird, auch auf meinen Berufs- beziehungsweise Studiumswunsch gesehen. Den Praktikumsplatz kann ich nur jeder Person mit ähnlichen Interessen weiterempfehlen, aber auch Schüler*innen, die mal an eine Universität wollen oder auch einfach mal etwas Neues kennenlernen möchten. Hierbei möchte ich vor allem die Mitarbeiterinnen des Seminars herausheben, die nicht nur sehr sympathisch sind, sondern auch immer ein offenes Ohr für Fragen hatten und somit immer Hilfe geleistet haben. Es war sehr schön, mit Ihnen zusammen zu arbeiten. Zusammengefasst bin ich sehr dankbar für meine positiven Erfahrungen, die Menschen, die mich am Seminar während der Zeit begleitet haben und auch für alles, was ich dazugelernt habe.

Text: Liv Kallender, Gymnasium an der Stadtmauer Bad Kreuznach

Bist auch du an einem Praktikum bei uns interessiert? Du kannst dich jederzeit dafür bewerben. Eine Ausschreibung mit den wichtigsten Informationen findest du auf unserer Homepage.

Titelbild: Brooke Cagle auf Unsplash

Sándor Petőfi – eine Kraft der Märzrevolution

Ungarns bedeutender Dichter Sándor Petőfi (1823-1849) prägte nicht nur die ungarische Literatur, sondern spielte auch eine wichtige Rolle beim Ausbruch der ungarischen Revolution im März 1848. Er machte sich somit nicht nur als bekannter Schriftsteller, sondern auch als Freiheitskämpfer einen Namen.

Petőfi stammt aus Ungarn, wächst im Genuss guter Bildung auf, doch er schlägt einen anderen Weg, ohne Schulabschluss, als Dichter ein. Durch seinen Umzug nach Pest im Jahre 1844 verspricht er sich eine steigende Karriere als Dichter, die ihm mit Hilfe eines anderen Journalisten folglich gelang. In den darauffolgenden Jahren baute er seinen Erfolg aus. Seine Werke und seine sowohl thematischen als auch stilistischen Markenzeichen zeugen auch heute noch von großer Bekanntheit. Weitere Informationen zu Sándor Petőfis Wirken erfährt man in unserem letzten Blogbeitrag.

Trotz Petőfis höherem Bekanntheitsgrad als Dichter, nimmt seine Persönlichkeit, in Gedenken der Märzrevolution, bei dessen Anfängen und auch in den darauffolgenden Jahren, einen wichtigen Platz ein.

Historisch betrachtet befand sich Europa durch den Ausruf der zweiten französischen Republik am 24. Februar 1848 in Aufbruchsstimmung. Die bürgerlichdemokratische Revolutionswelle erfasste auch das Königreich Ungarn, Petőfis Heimatland.
Diese Welle traf durch die angespannte Lage im Kaisertum Österreich (Ungarn forderte den Ausbau der nationalen Unabhängigkeit) in Ungarn schnell auf Befürworter. Gewaltlose Massendemonstrationen in Pest und Buda ereigneten sich am 15. März, das sogenannte ZwölfPunkteProgramm der ungarischen Revolutionäre wurde von dem kaiserlichen Gouverneur akzeptiert und landesweite Aufstände brachen aus. Daraus resultierte der Ausruf einer neuen Regierung Ungarns, mit Lajos Batthyány als Ministerpräsidenten. Seine Regierung verabschiedete anschließend die sogenannten März– oder Aprilgesetze, die Ungarns Staatsform reformierten: Ungarn wurde eine konstitutionelle Monarchie.

Die ungarischen Revolutionäre forderten in ihrem Programm, das zur Freiheit der Bevölkerung und der Demokratisierung des Landes beitragen sollten, unter anderem die Pressefreiheit sowie die Aufhebung der geltenden Zensur und der Frondienste.

Unter den Revolutionären befand sich auch Sándor Petőfi. Er war vor allem am Ausbruch der Demonstrationen am 15. März 1848 beteiligt und ist somit einer der wichtigsten Repräsentanten, wenn man die Anfänge der ungarischen Revolution betrachtet.

Zur Zeit diesen Ausbruchs agierte Petőfi als einer der Anführer der radikalrevolutionären intellektuellen Jugend. Diese berief sich ebenfalls auf das ZwölfPunkteProgramm, das er gemeinsam mit anderen Revolutionären bei dem Versuch der Mobilmachung von Studenten proklamierte. Aus dieser Mobilmachung folgte der bekannte Aufstand für die Revolution.

Sándor Petőfis Gedicht Nationallied (Nemzeti dal) wurde durch seine spontane Darbietung anlässlich des Aufstands zu der Hymne der Revolutionäre (Talpra magyar, hí a haza!; zu deutsch: Auf, die Heimat ruft, Magyaren!). Es gelang durch den Zwang des Drucks des Gedichts, den die Revolutionäre auf die Druckerpresse ausübten, unzensiert in den Umlauf. Das Gedicht stößt bei der Bevölkerung auf Begeisterung, daher wurde es am selben Tag als Zeichen des Wandels bei der Volksversammlung erneut vorgetragen.

In den darauffolgenden Jahren wurde Petőfi Mitglied zahlreicher politischer Delegationen und Kommissionen. Er war Kapitän der Nationalgarde von Pest und schloss sich dem sogenannten Gleichheitsklub (Egyenlőségi Társulat), dem radikalsten Flügel der Revolution an. Im Oktober 1848 wurde er Hauptmann in Debrecen und ab 1849 diente er dem polnischen General Józef Bem in Siebenbürgen.

Sándor Petőfi fiel 1849 bei der Schlacht von Schäßburg, sein Grab ist bis heute unbekannt.

Petőfi zeigte zu seinen Lebzeiten politisches Engagement, sein Leben war eng mit dem Kampf um die Freiheit verbunden. Seine revolutionäre Seite erkennt man auch in seinen Werken wieder, politische Aspekte prägten diese in seiner gesamten schriftstellerischen Tätigkeit. Von Beginn an forderte er die Unabhängigkeit des ungarischen Nationalstaates.

Quellen:
Koch, Peter. Revolutionen in Ungarn. Umbruch 1989/90 und frühere Bewegungen. URL: https://osteuropa.lpb-bw.de/revolution-in-ungarn, abgerufen am 15.03.2023.
László Révész. Petőfi, Sándor. In: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 3. Hgg. Mathias Bernath / Felix von Schroeder. München 1979, S. 447-449 [Onlineausgabe]; URL: https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=1529, abgerufen am 15.03.2023.
Schlosser, Christine. 2009. Zwei Jahrzehnte ungarische Literatur in deutscher Übersetzung. 1988-2008. Eine kommentierte Bibliographie. Budapest.
Wollstein, Günther. 2010. Märzrevolution und Liberalisierung. URL: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/izpb/revolution-von-1848-265/9875/maerzrevolution-und-liberalisierung/, abgerufen am 15.03.2023.
https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%A1ndor_Pet%C5%91fi, abgerufen am 15.03.2023.

Bildquellen:
Titelbild: gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pet%C5%91fi_Nemzeti_M%C3%BAzeum.jpg
Portrait: gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pet%C5%91fi_S%C3%A1ndor.jpg
Nationallied: gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:S%C3%A1ndor_Pet%C5%91fi#/media/File:Nemzetidal.jpg

Text: Liv Kallender, Gymnasium an der Stadtmauer Bad Kreuznach, Praktikantin

Buchvorstellung: Terézia Mora – Alle Tage (2004)

Der 2004 erschienene Debütroman „Alle Tage“ von Terézia Mora handelt von Abel Nema, einem heimatlosen Sprachgenie. Geschrieben wurde der Roman auf Deutsch, da es sich bei Terézia Mora um eine Ungarndeutsche handelt.


Ein Mann aus einem Land, das es gar nicht mehr gibt – Das ist Abel Nema. „Eigentlich […] ist alles in Ordnung mit ihm. Ein höflicher, stiller, gutaussehender Mensch. Und gleichzeitig ist nichts in Ordnung mit ihm. Wenn man das auch nicht näher benennen kann. Etwas ist verdächtig. Die Art, wie er höflich, still und gutaussehend ist“ (S. 13). Immer in schwarz gekleidet und wortkarg, auch wenn er zehn Sprachen zur Perfektion beherrscht. Hat man ihn überhaupt jemals in diesen Sprachen sprechen hören, wenn es nicht seiner Arbeit diente? Er wächst in einem Land auf, bei dem es sich vermutlich um Jugoslawien handelte. In der Nacht seiner Abiturfeier gesteht er seinem besten Freund seine Liebe – und stößt auf Ablehnung und Ekel. Nach einem Gasleck in einer Wohnung hat sich etwas verändert: Er kann sich plötzlich ohne Anstrengung jede Sprache aneignen, die er hört. Allerdings ist sein Geschmacks-, Geruchs- und Orientierungssinn verschwunden. Fliehend vor dem Krieg und der Zurückweisung seines ehemaligen Freundes, landet er irgendwann in einem anderen Land, bei dem es sich vermutlich um Deutschland handelt. Dort scheint zunächst alles gut zu verlaufen. Er findet Unterkunft bei einem anderen Emigranten, bekommt einen Sponsor für ein Studium aufgrund seines linguistischen Talents und lernt im Sprachlabor zehn Sprachen. Somit ist er um ein Vielfaches erfolgreicher als andere Emigranten, die sich mit Putzjobs und Musikauftritten über Wasser halten – oder auch nicht über Wasser halten und Obdachlosigkeit, Suizid und Gewalt erleben.
Nach einer Razzia zieht er zu einer weiteren Emigrantin, Kinga, die eine Band hat; jeden Abend wird getrunken und geraucht. Nur nicht von Abel, der inzwischen bemerkt hat, dass er nicht betrunken werden kann. Sein Studium und das Sprachlabor hat er derweil aufgegeben, schreibt aber noch an seiner Dissertation. Kinga stellt mit ihrem Charakter, der Wut, Lust, Verzweiflung und eigene Meinung frei ausdrückt, einen krassen Gegensatz zu dem reservierten Abel dar. Trotzdem, oder genau deswegen, ist sie in Abel verliebt. Er zieht danach noch zwei weitere Male um, einmal neben eine Fleischerei, einmal neben einen Sexclub. Irgendwann beginnt er, seinem zukünftigen Stiefsohn Omar Russisch beizubringen. Später wird ihm sein Laptop von einem Jungen geklaut. Nur darauf war seine unfertige Dissertation gespeichert.
In seiner bis dato letzten Wohnung fängt er an, in die „Klapsmühle“, den Sexclub in seiner Nachbarschaft zu gehen. Er beobachtet jedoch nur und beteiligt sich nicht an den Geschehnissen dort. In diesem Zeitraum lernt Mercedes ihn ein bisschen besser kennen und fragt ihn eines Tages, ob er eine Scheinehe zwecks seiner Aufenthaltsgenehmigung mit ihr eingehe wolle. Er nimmt an, bleibt aber im Laufe der Ehe weiterhin distanziert. Doch er und Omar, sein zehnjähriger Stiefsohn, kommen sich immer näher. Weitere Dinge geschehen: Kinga begeht Selbstmord und Abel nimmt aus der verlassenen Wohnung seines Nachbarn Amanita muscaria (Gewöhnlicher Fliegenpilz) ein und erlebt einen Drogenrausch, in dem er einige Erkenntnisse über sich selbst gewinnt. Nach diesem Rausch ist plötzlich seine Gabe weg: Er spricht plötzlich mit Akzent und wird nach einem halben Drink sofort betrunken. Auf dem Weg durch die Stadt wird er danach von ein paar Jungen zusammengeschlagen und stirbt fast. Durch ein dadurch ausgelöstes Hirntrauma
erleidet er eine Aphasie, also einen Verlust des Sprechvermögens. Er kann nur noch mit Anstrengung einfache Sätze der Landessprache bilden. Seitdem sagt er am liebsten „Es ist gut“.


Abel erlebt einiges in seinen Jahren in Westeuropa, z.B. eine Razzia, eine Scheinehe, viele Menschen, die ihn lieben. Aber liebt er zurück? Bemerkenswerterweise für einen Protagonisten trifft er selbst keine aktiven Entscheidungen, führt keine Gruppe an und scheint auch zu nichts eine Meinung zu haben. Er ist Kriegsdeserteur, initiiert nie selbst ein Gespräch und antwortet einsilbig auf Fragen. Und doch lieben ihn alle und helfen ihm, auch wenn er gar nicht danach fragt. Alle wollen das Geheimnis, das ihn scheinbar umhüllt, lüften. Aber dies ist wohl ein Geheimnis, was er auch vor sich selbst leugnet.
Dafür müsste er nämlich wohl erst wissen, wer er eigentlich selbst ist. Dabei kennt er nicht einmal seine eigene Nationalität. „Die Staaten, die euch festhielten mit eiserner Hand, haben euch hinausgespuckt in die Welt“ (S. 150). Ist er Kroate, Serbe, Bosnier oder doch Montenegriner? Wer kann das schon so genau sagen. Die Sprachen dieser Nationen variieren letztlich auch nur leicht.
Auch mit dem Lernen neuer Sprachen findet sich keine Erlösung, zeigt sich keine
Persönlichkeit. Abel spricht alle Sprachen akzentfrei, aber auch ohne jede persönliche Note. Wenn er sie denn einmal benutzt. Sein Nachname, Nema, bedeutet nämlich ‚der Stumme‘, denn obgleich er Sprachen beherrscht, benutzt er sie nie für ihren eigentlichen Zweck, die Kommunikation. Insgesamt eignet er sich viel an: zehn Sprachen, ein vertieftes Wissen über die Linguistik und all die Bereiche, in die sie hineingreift. Doch all das nutzte ihm nichts, die Sprache verlor er, seine Dissertation bekam auch niemand zu Gesicht. Ein weiterer Beweis für ihn als passive Person. Doch warum verhält er sich so? Hierzu möchte ich eine Textstelle zitieren, die sich auch auf der Rückseite des Buches befindet: „Jetzt und hier habe ich den
Frieden praktiziert, alle Tage, ja. Weil es möglich war. Und wenn der Preis dafür war, meine Geschichte, also meine Herkunft, also mich zu verleugnen, dann war ich mehr als bereit diesen zu zahlen. Aber in Wahrheit war ich doch allzu oft ein Barbar. Guten und nicht so Guten gegenüber. Die Liebe war nur noch als Sehnsucht in mir. Ich hatte Glück, Fähigkeiten und Möglichkeiten, man kann nicht einmal sagen, ich hätte sie gänzlich vergeudet, trotzdem bin ich heute verloren. Ich habe mich einfach zu sehr geschämt. […] Dass ich herkomme, wo ich herkomme. Dass passiert ist, was passiert ist.“ (S. 406)


Alles in allem kann ich das Buch allen ans Herz legen. Es hat einen ganz besonderen
Schreibstil, der zwar verwirren, aber auch begeistern kann. Die Abfolge der Kapitel ist nicht ganz chronologisch, weshalb ich es fast ein bisschen Schade finde, dass ich nicht genug Zeit hatte, das Buch ein zweites Mal zu lesen, um wirklich jede Kleinigkeit erfassen zu können. Als Leserin ergeht es mir fast genauso wie Abels Bekanntschaften: Man fängt an, für ihn Sympathie zu empfinden und mehr über ihn herausfinden zu wollen, auch wenn er bei weitem kein perfekter, vielleicht nicht einmal ein guter, Mensch ist. Doch genau das macht ihn wohl interessant und auch lesenswert.

Text: Talvikki Kosonen

Quellen:
Mora, Terézia. 2004. Alle Tage. München (Luchterhand Literaturverlag).

Titelbild: Photo by Clarissa Watson on Unsplash

Tag der Muttersprache

Am 21. Februar 2020 wird jetzt offiziell zum 20. Mal der Internationale Tag der Muttersprache gefeiert. Aber dieser Gedenktag hat nicht nur die Funktion, seine Muttersprache zu feiern, er dient vielmehr der „Förderung sprachlicher und kultureller Vielfalt und Mehrsprachigkeit“.

Genau deswegen ist dieser Tag ein wichtiger Tag unter anderem für die finnisch-ugrischen Völker. Denn außer Finnisch, Ungarisch und Estnisch gehören zu dieser Sprachfamilie auch noch viele weitere kleine Sprachen. Für solche kleinen Sprachen ist die Pflege der Sprache sehr wichtig, da aufgrund der unterschiedliche Hauptsprachen in den jeweiligen Ländern diese oft vernachlässigt werden. Das führt dann dazu, dass diese Minderheitensprachen schnell gefährdet sind. Und da mittlerweile gut die Hälfte aller rund 6700 Sprachen auf der Welt vom Aussterben bedroht ist, wurde von der UNESCO dieser Tag ausgerufen, um die Sprachen und die Sprachpflege zu fördern. Denn mit jeder aussterbenden Sprache geht auch immer ein Stück Kultur verloren.  

 „When languages fade, so does the world’s rich tapestry of cultural diversity.“

Quelle: https://www.un.org/en/observances/mother-language-day

Der historische Grund für den Ausruf dieses Tages findet sich am 21. Februar 1952. An diesem Tag wurde gegen die Einführung von Urdu als Amtssprache in der pakistanischen Provinz Bengalen protestiert. Denn dafür sollte Bengali zurückgedrängt werden, obwohl es in der Bevölkerung viel mehr vertreten war als Urdu.

Heutzutage wird man sich immer bewusster darüber, dass die Pflege der Sprachen eine große Rolle in der Kultur spielt, zum Beispiel für stärkere Kooperation und auch qualitativ hochwertige Bildung.

Quellen:

https://www.un.org/en/observances/mother-language-day

https://www.unesco.de/kultur-und-natur/kulturelle-vielfalt/21-februar-ist-internationaler-tag-der-muttersprache

Bildquelle:

https://pixabay.com/de/illustrations/fahnen-l%C3%A4nder-staaten-flaggen-welt-69190/

Chiara Stephan, HG Göttingen, Praktikantin

Was ist das Besondere an den Liven?

Sprachen sind alle einzigartig, das ist klar. Aber manche sind durch die aktuelle Situation, Geschichte oder Sprachstruktur einfach ein bisschen interessanter. Seitdem ich 2016 in Kurland bei der livischen Sommer­schule war, hat mich die Sprache irgendwie gepackt. Nach der einen Woche an der schönen und kalten kurländischen Küste habe ich mir Vokabel­karten geschrieben, sie sogar gelernt (!) und meinen Freunden nur noch „Gute Nacht“ auf Livisch gewünscht. „Jõvvõ īedõ!“

Aber warum? Was ist so besonders am Livischen? Vielleicht, dass die Sprache ausgestorben, aber trotzdem nicht tot ist. Dass es keine Muttersprachler mehr gibt, ist kein Hindernis für all die begeisterten Livisch-Lernenden. In Tartu gibt es livische Sprachkurse und jeden Sommer gibt es Schulen für Kinder, die Livisch lernen wollen. Man möchte die Sprache wiederbeleben. Ob diese Maß­nahmen so viel bringen, weiß man nicht. Vielleicht sollte man doch lieber seine eigenen Kinder mit Livisch als Muttersprache großziehen. (Das ist ja immernoch heimlich mein Ziel – mir fehlt nur ein Livisch sprechender Mann dazu.)

Doch wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass das Livische ausgestorben ist? Vor dem 13. Jahrhundert waren die Liven noch ziemlich groß. Größer als die Letten. Die Liven lebten um den Rigaer Meerbusen und hatten durch das Meer und die Flüsse wichtige Handelswege gesichert. Aber die Liven waren kein riesiges Imperium, was mit einem starken Anführer die umliegenden Völker abge­schlachtet hat. (Vielleicht hätten sie genau das tun müssen, um jetzt noch aktiv zu sein, wer weiß…) Es gab fünf livische Stämme mit lokalen Anführern und ohne gemeinsames Zentrum. Anfang des 13. Jahrhunderts kamen die Deu­tschen und Riga wurde gegründet. Dadurch waren Livland und Kurland und somit das livische Siedlungsgebiet getrennt. In den folgenden Jahrhunderten starben die Liven durch Krieg und Krankheiten und ihre Identität durch die Assi­milierung mit den Letten. Als das Schrifttum in diesem Gebiet gefördert wurde, wurde das Livische von den einheimischen Sprachen dort am wenigsten geför­dert. Das Bürgertum war deutsch und für die Bauernbevölkerung musste wohl eine Sprache in Kirchen und Schulen genügen: das Lettische. Und das galt bis heute.

Dabei ist das Livische doch so interessant! Und sehr zeitsparend. In Bezug auf die Kürze ist das Livische nämlich unschlagbar – sogar im Vergleich zum Estnischen, was man an folgenden Wörtern ganz gut sehen kann: kūvaʼl (est. kuuvalgus ‘Mondlicht’), īʼž (est. isegi ‘sogar’), jūs (est. juures ‘bei’), pand (est. pannud ‘gestellt’).

Ein paar Fakten zur Sprache:

  • Lange Vokale werden wie im Lettischen durch einen Längenstrich markiert, z. B. sūr (est. suur ‘groß’), (est. luu ‘Knochen’); sogar über schon markierten Vokalen: lǟlam (‘schwer’)
  • Es gibt wie im Estnischen den reduzierten Vokal õ, z. B. als Infinitivendung (vȯtšõ ‘suchen’, irgõ ‘anfangen’, kītõ ‘fragen’). Auch schön ist das Wort für Abend: ȭdõg
  • Es gibt palatalisierte (weiche) Konsonanten, die durch eine Cedille, das kleine “Komma” hier unter rr und tt, markiert werden, z. B. kuoŗŗõ ‘sammeln’, kuoțțõ, Partitiv von ‘Tasche’.
  • Es gibt einen Stoßton (= Knacklaut), den heute im Livischen wahrscheinlich keiner mehr richtig aussprechen kann, der aber trotzdem bedeutungsunterscheidend sein kann: mit Stoßton bedeutet tu‘ļ ‘Feuer’ und ohne tuļ ‘er kam’. Dieser glottale Verschlusslaut wird phonetisch als ʔ transkribiert und es gibt ihn auch im Dänischen. Gut beschrieben wird er für das Dänische auch hier.
  • Im Wort können Vokal- und Konsonantwechsel auftreten, die es schwierig machen, zusammengehörige Formen zu erkennen: lǟ’dõ : ligīd (Imperativ 2. Pers. Pl.) ‘gehen’, ǭla : allõ (Part.) ‘Nachtfrost’, tei : tēd̜i Part.Pl. ‘Laus’, sǭdõ : sai (Prät. 3. Pers. Sg.) ‘bekommen’
  • Unterschiedliche grammatische Formen (z.B. Verbformen oder Kasus) sind zusammengefallen, d.h. der Kontext ist nicht gerade unwichtig. Z. B. sind die Formen der 1. und 3. Person Singular im Präsens gleich, deswegen braucht man das Personalpronomen: ma tulāb : ta tulāb ‘ich komme; er kommt’. Kruțk ‘Stelze’ hat im Partitiv, Dativ, Instrumental und im Illativ Singular die selbe Form: kruțkõ.

Zum Abschluss noch ein paar Links, die ihr euch unbedingt anschauen solltet:

Livisch-estnisches Wörterbuch:
sonad.oahpa.no/livM/est/

Viel mehr zu den Liven:
www.livones.net/en
fennougria.ee/rahvad/laanemeresoome-rahvad/liivlased/

Facebookseiten:
www.facebook.com/livonianlanguage/
www.facebook.com/livuval/
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Text: Karin Fichtner

Du studierst Finnowas?!

“Du studierst Finnowas?!”

So oder so ähnlich lautet meist die erste Frage, die man beantworten muss, wenn man als Studierender der Finnougristik anderen Menschen von seinem Studienfach erzählt. Die wenigsten können mit dem Begriff etwas anfangen und sind meist sehr überrascht, wenn sie hören, dass es so etwas gibt wie eine finnisch-ugrische Sprachfamilie und dass Finnisch und Ungarisch miteinander verwandt sind. Dies und noch weitaus mehr lernt man, wenn man sich für ein Studium der Finnougristik (oder auch: Finnisch-Ugrische Philologie) entscheidet.

Bei uns in Göttingen gibt es zwei wesentliche Studienbestandteile, die Sprachwissenschaft und die Sprachlehre. Man lernt also nicht nur einige der Sprachen, sondern beschäftigt sich auch damit, was diese Sprachen ausmacht und warum sie miteinander verwandt sind. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Sprachen werden analysiert und man studiert die historische Entwicklung, nur um einige Beispiele zu nennen. Natürlich gibt es in der Sprachwissenschaft noch viele weitere Bereiche, die auch für ein Studium unseres Faches eine Rolle spielen und die man im Laufe des Studiums kennenlernen wird.

Finnisch-ugrische Sprachen gibt es insgesamt 15, auf die sich ca. 22 Millionen Muttersprachler verteilen. Die bekanntesten dieser Sprachen sind Finnisch, Estnisch und Ungarisch. Finnisch und Ungarisch kann man an unserem Seminar als Schwerpunkt studieren. Aus den beiden “großen” Sprachen wählt jeder Studierende zu Anfang seine Wunschsprache als Erstsprache aus – aber keine Sorge! Auf die andere Sprache muss man keineswegs verzichten, denn man belegt während des Bachelor-Studiums auch einen Anfängerkurs in der Zweitsprache. In diesem erlernt man die wichtigsten Grundlagen und Strukturen.

Ein paar weniger bekannte Sprachen, die ebenfalls zur finnisch-ugrischen Sprachfamilie gehören, sind beispielsweise Wotisch, Ingrisch, Udmurtisch, Mordwinisch oder auch Mansi. Die Namen mögen am Anfang vielleicht noch etwas seltsam klingen, aber spätestens nach zwei Semestern sind sie etwas, was jedem leicht über die Lippen gehen wird.

Dass die Finnen in Finnland, die Esten in Estland und die Ungarn in Ungarn leben, ist natürlich keine große Überraschung, doch wo leben die Völker der anderen 12 Sprachen?
Sie verteilen sich auf ein sehr großes Gebiet, das von Skandinavien über das Baltikum bis nach Sibirien reicht. So gibt es beispielsweise die Sami in Norwegen, Schweden, Finnland und auf der Kola-Halbinsel, die Liven lebten im heutigen Lettland und die meisten finnougrischen Völker haben ihre Heimat auf russischem Staatsgebiet.

Wer sich für ein Finnougristik-Studium entscheidet, hat es also mit einer Vielzahl an interessanten Sprachen und Kulturen zu tun und lernt, wie Sprachwissenschaft funktioniert. Seiner Familie und seinen Freunden hat man immer wieder etwas Spannendes zu erzählen, denn man lernt jede Woche neue Dinge, die man vorher noch nicht über die Finnougrier und ihre Sprachen wusste.

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Der Nationalfeiertag der Samen

Der 6. Februar ist der Nationalfeiertag der Samen. An diesem Tag im Jahre 1917 kamen die Samen aus Norwegen und Schweden das erste Mal zusammen, um Lösungen für gemeinsame Probleme zu finden. Bei der 15. samischen Konferenz 1992 wurde der 6. Februar zum Nationalfeiertag bestimmt.

Die Samen (Sámi) sind das einzige indigene Volk der EU. Sie wohnen im nördlichen Fennoskandien und in Russland, in Sápmi, dem Kulturraum der Samen. Traditionell waren die Samen Nomaden und lebten von Rentierzucht, Robbenjagd und Fischerei. Die Anzahl der Samen kann nur geschätzt werden und beträgt etwa 50 000–100 000 Menschen. Die große Variation kommt dadurch zustande, dass die Definition eines Samen auf Merkmalen wie z. B. Sprache, nationale und kulturelle Identifizierung oder Ausübung der traditionellen Berufe basiert.

Bild: Ningyou/Drieakko

Samisch wird von etwa 24 000 Menschen gesprochen. Es handelt sich nicht um eine Sprache, sondern eine Gruppe von samischen Sprachen. Sie zählen zu den finnisch-ugrischen Sprachen und ihre nächsten Sprachverwandten sind die ostseefinnischen Sprachen. Die größte samische Sprache ist Nordsamisch (5), das von etwa 70%–80% der Sprecher des Samischen gesprochen wird. Weitere samische Sprachen mit bis zu 800 Sprechern sind Südsamisch (1), Lulesamisch (4), Skoltsamisch (6), Inarisamisch (7) und Kildinsamisch (8). Fast ausgestorben sind Umesamisch (2), Pitesamisch (3) und Tersamisch (9), als ausgestorben gelten Akkalasamisch und Kemisamisch.

Bild: Juanjo Marin

Zur samischen Kultur gehören eng die samischen Trachten, auf die die Samen sehr stolz sind. Häufig sind sie von Familienmitgliedern, Verwandten oder Bekannten gemacht worden und einzigartig nicht nur wegen des dekorativen Äußeren, sondern auch wegen der beinhalteten Informationen: Aus dem Anzug und seinen Teilen kann man sowohl das Geschlecht als auch die Heimat, die Familie und den Familienstand seines Trägers lesen. Die Trachten sind von großer Bedeutung und werden immer noch aktiv getragen.

Die samische Volksmusik nennt man Joik. Es handelt sich um relativ eintönigen Gesang, bei dem die Musik wichtiger ist als der Text. Traditionell hatte der Joik mehrere Funktionen im Alltag: Der Joik des Rentierhirten hat die Raubtiere von den Rentieren ferngehalten, gleichzeitig war er eine gute Erinnerungshilfe beim Denken an die Freunde oder an Ereignisse mit ihnen. In der Zeit vor der Christianisierung hat sich der Schamane mit Hilfe des Joiks und der Zaubertrommel in Ekstase versetzt. Da, wo die Joiktradition heute noch lebhaft ist, bejoiken die Menschen Orte, Plätze und Tiere aber als eine Art Guten-Tag-Gruß auch sich gegenseitig.

Wie viele Minderheiten, haben auch die Samen stark unter der Staatsgewalt der Mehrheiten leiden müssen: Bis zu den 1970ern wurde strenge Assimilationspolitik mit Internatsschulen und Wohnheimen ausgeübt, das ILO-Übereinkommen Nr. 169 der indigenen Völker wurde beispielsweise in Finnland immer noch nicht ratifiziert und die Besonderheiten der samischen Kultur, vor allem die Trachten, wurden zu Werbezwecken missbraucht.

Heute am 6. Februar empfehlen die Behörden in Norwegen, Schweden und Finnland, überall die offizielle samische Flagge mit den Farben aus den Saamitrachen und dem Bild einer Sonnen- und Mondscheibe hochzuhissen und den Nationalfeiertag der Samen zu feiern.

Quellen:

https://fi.wikipedia.org/wiki/Saamelaiskielet

https://fi.wikipedia.org/wiki/Saamelaiset

http://sanosesaameksi.yle.fi

https://www.suomenkielet100.fi/

Geschichte Estlands — 100 Jahre Selbstständigkeit

Die Geschichte Estlands ist lang (10.000 Jahre), die Geschichte des estnischen Staates ist kurz (100 Jahre): Nachdem Estland im 13. Jahrhundert durch die Deutschen und Dänen christianisiert worden war, herrschten dort unterschiedliche Mächte: der Deutsche Orden, die Könige von Dänemark, Schweden und Polen sowie die russischen Zaren. Stets gab es die deutschsprachige Ober- und die estnische, bäuerliche Unterschicht. In der nationalen Geschichtsschreibung wird diese Zeit gerne als „die 700-jährige Sklavenzeit“ bezeichnet. Tatsächlich wurde Estland aber in dieser Zeit auch ein Teil des westeuropäischen Kulturkreises. Im 19. Jahrhundert begann in Estland das sog. nationale Erwachen.

Am 24. Februar 1918 wurde in den Wirren des Ersten Weltkriegs und der Russischen Revolution die Republik Estland ausgerufen und anschließend im sog. Freiheitskrieg (1918-1920) verteidigt. Estland baute schnell ein selbstständiges politisches, wirtschaftliches und kulturelles Leben auf europäischem Niveau auf. Nachdem Hitler und Stalin 1939 Europa vertraglich unter sich aufgeteilt hatten, besetzte die Sowjetunion von 1944-1991 Estland. Die Bewahrung der estnischen Sprache und Kultur wurde zum Akt des Widerstandes gegen das totalitäre Sowjetregime.

Mit der sog. Singenden Revolution erlangte Estland im Jahre 1991 seine staatliche Unabhängigkeit wieder. Seit 2004 ist Estland Mitglied der NATO und der Europäischen Union, seit 2011 auch der Euro-Zone. Gerne wird das kleine Land als Musterschüler Europas bezeichnet. Im Jahr 2018 feiert die Republik Estland ihren 100. Geburtstag.

Text: Dr. Kadri-Rutt Hahn
Bilder: Katja Mattsson

Sieben Gründe Finnougristik zu studieren

Die Finnougristik ist ein Studienfach, das einem nicht jeden Tag begegnet. Wir wollen euch heute sieben Gründe vorstellen, warum es sich lohnt, ein solches Studium aufzunehmen!

    1. Spannende Sprachen, die nicht jeder spricht
      Wie viele Menschen kennst du, die Finnisch, Ungarisch oder gar Estnisch sprechen? Bei uns in Göttingen kann man alle drei Sprachen studieren und man lernt auch noch einige der sogenannten “kleinen Sprachen” kennen – zum Beispiel Udmurtisch, Karelisch, Livisch oder Mordwinisch. Von diesen spannenden Sprachen haben die meisten Leute noch nie etwas gehört und bei uns gehören sie zum Fachgebiet.

    2. Sehr großes Fachgebiet
      Die Sprachwissenschaft ist bei uns in Göttingen der Hauptschwerpunkt, aber die Finnougristik hat auch noch weitere Themenfelder zu bieten: In den Landeskundekursen beschäftigt man sich mit der Kultur und Geschichte der Länder. Es gibt auch Kurse zu Literatur und Folklore, sodass jeder bei uns auf sein Kosten kommt.

    3. Immer ein interessantes Gesprächsthema
      Wer sich für ein Finnougristik-Studium entscheidet, hat immer ein Gesprächsthema parat. Wenn die Verwandten auf dem nächsten Geburtstag oder die Freunde auf der nächsten Party fragen, was man so macht, hat man direkt viel zu erklären – und zu erzählen!

    4. Auslandsaufenthalte
      Bei uns hat man auch die Möglichkeit, für ein bis zwei Semester im Ausland zu studieren. Wir haben Partneruniversitäten in Estland, Finnland und Ungarn und diese Austauschprogramme können sogar mit Stipendien gefördert werden. Sie sind immer eine gute Möglichkeit, Land, Leute und Sprache direkt und vor Ort besser kennenzulernen und man knüpft viele neue Kontakte. Erst im letzten Monat haben wir hier einen Bericht zu einem Erasmusaufenthalt in Finnland veröffentlicht.
      Zusätzlich gibt es auch Sommerkurse in allen drei Ländern und teilweise bei den kleinen finnougrischen Völkern in Russland. Auch bei derartigen Kursen nehmen viele unserer Studierenden regelmäßig teil, um ihre Sprachkenntnisse vor Ort zu verbessern. Darüber kann man auf unserem Blog ebenfalls Berichte nachlesen.

    5. Andere Länder – andere Sitten
      Man lernt bei uns nicht nur fremde Sprachen, sondern auch neue Kulturen kennen. Wie ticken die Finnen? Was ist das Nationaltier der Esten und was steckt hinter den Klischees, die wir über Ungarn kennen? Aus den verschiedensten Themenfeldern ist für jeden etwas dabei: Geschichte, Literatur, Kunst, Geographie, Wirtschaft oder auch Brauchtum.

    6. Vielseitige Kenntnisse
      Bei uns erwirbt man nicht nur sprachwissenschaftliche Kenntnisse und die Fähigkeit, eine neue Fremdsprache zu sprechen. Man trainiert im Studium seine Auffassungsgabe und das Verständnis von neuen Inhalten. Man lernt, mit neuen Sprachen zu arbeiten, selbst wenn man sie bisher nicht oder nicht so gut beherrscht. Man lernt Texte zu verarbeiten, selbst zu schreiben und entwickelt seine Methodikkompetenzen.

    7. Mehr als nur Inhalte
      Ein Studium der Finnougristik bedeutet mehr als nur Inhalte zu lernen, denn es ist eine Bereicherung. Wer Interesse an besonderen Sprachen, die nicht mit Sprachen wie Englisch oder Französisch verwandt sind, und fremden Kulturen hat, ist in der Finnougristik genau richtig. Neben den Vorlesungen gehören auch gemeinsame Unternehmungen wie regelmäßige Treffen zum Mölkky zu unserem Programm. Die Studierenden besuchen zusammen die jährlich stattfindende Studierendenkonferenz IFUSCO (International Finno-Ugric Students’ Conference), die in Göttingen ihre Wurzeln hat, und organisieren gemeinsam Sommer- und Weihnachtsfeiern, sowie Veranstaltungen zu den wichtigsten Feiertagen der drei großen finnougrischen Nationen.

 

Wenn du jetzt Lust auf ein Studium bei uns bekommen hast, kannst du dich auf unserer Homepage über die genauen Inhalte informieren und dich noch bis zum 30. September direkt bei uns an der Universität einschreiben. Wir freuen uns auf dich!

 

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