Einsames Erasmus

Ich bin hier nach Szeged gekommen, um Ungarisch sprechen zu lernen. Um mit Freunden durchs Land zu reisen, um Kurse auf Ungarisch zu besuchen, um in Budapest in den berühmten Romkocsmas[1] zu feiern und in den Restaurants das leckere und günstige Essen zu genießen.

Doch dann kam die Corona-Krise.

Am Anfang meines Semesters hier lief alles noch normal. Der ESN[2] hat jede Woche zwei oder drei Veranstaltungen organisiert (meistens Abende in Bars), die Uni fing langsam an und ich war einmal für ein Wochenende in Budapest und einmal bei meinen Verwandten in Südungarn. Da die Uni gerade erst losgegangen war, hatte ich auch noch nicht so viel Kontakt zu den ungarischen Studenten, doch „es ist ja erst paar Wochen her, das kommt später noch“, meinten meine deutschen Freunde.

Doch daraus wurde leider nichts. Heute vor genau drei Wochen fing es an. Am Mittwochabend war ich noch mit einer anderen Erasmus-Studentin in einem gut besuchten Restaurant und als ich nach Hause kam, hatte ich Nachrichten auf meinem Handy, die das Leben ab da komplett veränderten. Die Quarantäne in Ungarn sollte beginnen. Ab dem nächsten Morgen durfte man nicht mehr in die Uni, die Bibliotheken wurden geschlossen, alle Veranstaltungen mit mehr als 50 Leuten wurden abgesagt (natürlich auch die des ESN) und in Deutschland fingen die Leute an, wie verrückt Klopapier zu kaufen[3]. Die Osterferien der Uni wurden auf die kommende Woche vorverlegt. Es wurde mit der Zeit auch nicht besser: Die ungarischen Grenzen wurden geschlossen, die Restaurants, Cafés und Geschäfte hatten eingeschränkte Öffnungszeiten, man durfte nur noch alleine oder mit den Leuten seines Haushaltes zusammen rausgehen. Aber da ich die einzige in meinem Haushalt bin, fing eine einsame Zeit für mich an.

Am Anfang denkt man vielleicht noch: „Toll, jetzt habe ich endlich Zeit für die Dinge, die ich sonst nicht schaffe!“. Aber ganz ehrlich, wenn man nur mit dem Nötigsten in ein fremdes Land geht, hat man nicht viele Dinge dort, mit denen man sich beschäftigen kann. Irgendwann hat man dann auch alle guten Serien bei Netflix durch und zum Lernen kann man sich auch nicht motivieren. Denn in der Einsamkeit kann man ganz schnell von „ich habe Zeit“ in einen verwahrlosten Zustand ohne Zeitgefühl reinrutschen. Und in diesem fast schon depressiven Zustand fällt es einem sehr schwer, sich selbst für die Dinge zu motivieren, die man machen müsste.

Aber was ist eigentlich mit der Uni nach dieser Woche „Ferien“ passiert? Es läuft natürlich alles online. Danke Internet. Trotz langsamem Laptop inklusive langsamer Internetverbindung freut man sich auf die Sprachkurse über Zoom[4], denn das sind die einzigen, in denen man noch Kontakt zu seinen Kommilitonen hat. Die Dozenten oder Dozentinnen der Vorlesungen nehmen ihre Sitzungen auf, also hört man ihre Erklärungen während die PowerPoint-Präsentation läuft. Zusätzlich gibt es noch jede Woche Extraaufgaben und Tests, damit man irgendwie kontrollieren kann, ob die Studenten auch „anwesend“ waren. Für mich als Nicht-Muttersprachlerin ist das Ganze natürlich etwas ungünstig, da die Audio-Aufnahmen nicht immer die beste Qualität haben und ich für alles natürlich doppelt so lange brauche, um es zu verstehen.

Und was macht man so in seiner „Freizeit“ in der Quarantäne? Tatsächlich habe ich gezwungenermaßen angefangen, mir das Kochen anzueignen (wovor ich mich schon immer gedrückt habe) und habe mir eine Mundharmonika zugelegt, damit ich wenigstens ansatzweise Musik machen kann (es ist schwerer, als man denkt). Außerdem gibt es ja auch noch Skype, damit man nicht komplett vereinsamt und vielleicht gönne ich mir auch noch ein Puzzle und Blumen für meinen Balkon. Denn obwohl diese Lage gerade nicht die beste ist, bleibe ich hier in Szeged, wie geplant. Ich hoffe nur, dass dieser Zustand endet, bevor mein Erasmus-Semester endet, denn ich würde wirklich gerne etwas mehr von Ungarn sehen als meine Wohnung von innen.


[1] dt. ‚Ruinenkneipe‘, eine Bar in einem alten, ruinenhaften Gebäude
[2] Erasmus Student Network. Sie organisieren verschiedene Aktivitäten für die Erasmus-Studierenden.
[3] Was ich bis heute nicht verstehe. Hier in Ungarn hat das niemand gemacht.
[4] Zoom ist wie Skype.

Text und Bilder: Karin Fichtner

Was ist das Besondere an den Liven?

Sprachen sind alle einzigartig, das ist klar. Aber manche sind durch die aktuelle Situation, Geschichte oder Sprachstruktur einfach ein bisschen interessanter. Seitdem ich 2016 in Kurland bei der livischen Sommer­schule war, hat mich die Sprache irgendwie gepackt. Nach der einen Woche an der schönen und kalten kurländischen Küste habe ich mir Vokabel­karten geschrieben, sie sogar gelernt (!) und meinen Freunden nur noch „Gute Nacht“ auf Livisch gewünscht. „Jõvvõ īedõ!“

Aber warum? Was ist so besonders am Livischen? Vielleicht, dass die Sprache ausgestorben, aber trotzdem nicht tot ist. Dass es keine Muttersprachler mehr gibt, ist kein Hindernis für all die begeisterten Livisch-Lernenden. In Tartu gibt es livische Sprachkurse und jeden Sommer gibt es Schulen für Kinder, die Livisch lernen wollen. Man möchte die Sprache wiederbeleben. Ob diese Maß­nahmen so viel bringen, weiß man nicht. Vielleicht sollte man doch lieber seine eigenen Kinder mit Livisch als Muttersprache großziehen. (Das ist ja immernoch heimlich mein Ziel – mir fehlt nur ein Livisch sprechender Mann dazu.)

Doch wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass das Livische ausgestorben ist? Vor dem 13. Jahrhundert waren die Liven noch ziemlich groß. Größer als die Letten. Die Liven lebten um den Rigaer Meerbusen und hatten durch das Meer und die Flüsse wichtige Handelswege gesichert. Aber die Liven waren kein riesiges Imperium, was mit einem starken Anführer die umliegenden Völker abge­schlachtet hat. (Vielleicht hätten sie genau das tun müssen, um jetzt noch aktiv zu sein, wer weiß…) Es gab fünf livische Stämme mit lokalen Anführern und ohne gemeinsames Zentrum. Anfang des 13. Jahrhunderts kamen die Deu­tschen und Riga wurde gegründet. Dadurch waren Livland und Kurland und somit das livische Siedlungsgebiet getrennt. In den folgenden Jahrhunderten starben die Liven durch Krieg und Krankheiten und ihre Identität durch die Assi­milierung mit den Letten. Als das Schrifttum in diesem Gebiet gefördert wurde, wurde das Livische von den einheimischen Sprachen dort am wenigsten geför­dert. Das Bürgertum war deutsch und für die Bauernbevölkerung musste wohl eine Sprache in Kirchen und Schulen genügen: das Lettische. Und das galt bis heute.

Dabei ist das Livische doch so interessant! Und sehr zeitsparend. In Bezug auf die Kürze ist das Livische nämlich unschlagbar – sogar im Vergleich zum Estnischen, was man an folgenden Wörtern ganz gut sehen kann: kūvaʼl (est. kuuvalgus ‘Mondlicht’), īʼž (est. isegi ‘sogar’), jūs (est. juures ‘bei’), pand (est. pannud ‘gestellt’).

Ein paar Fakten zur Sprache:

  • Lange Vokale werden wie im Lettischen durch einen Längenstrich markiert, z. B. sūr (est. suur ‘groß’), (est. luu ‘Knochen’); sogar über schon markierten Vokalen: lǟlam (‘schwer’)
  • Es gibt wie im Estnischen den reduzierten Vokal õ, z. B. als Infinitivendung (vȯtšõ ‘suchen’, irgõ ‘anfangen’, kītõ ‘fragen’). Auch schön ist das Wort für Abend: ȭdõg
  • Es gibt palatalisierte (weiche) Konsonanten, die durch eine Cedille, das kleine “Komma” hier unter rr und tt, markiert werden, z. B. kuoŗŗõ ‘sammeln’, kuoțțõ, Partitiv von ‘Tasche’.
  • Es gibt einen Stoßton (= Knacklaut), den heute im Livischen wahrscheinlich keiner mehr richtig aussprechen kann, der aber trotzdem bedeutungsunterscheidend sein kann: mit Stoßton bedeutet tu‘ļ ‘Feuer’ und ohne tuļ ‘er kam’. Dieser glottale Verschlusslaut wird phonetisch als ʔ transkribiert und es gibt ihn auch im Dänischen. Gut beschrieben wird er für das Dänische auch hier.
  • Im Wort können Vokal- und Konsonantwechsel auftreten, die es schwierig machen, zusammengehörige Formen zu erkennen: lǟ’dõ : ligīd (Imperativ 2. Pers. Pl.) ‘gehen’, ǭla : allõ (Part.) ‘Nachtfrost’, tei : tēd̜i Part.Pl. ‘Laus’, sǭdõ : sai (Prät. 3. Pers. Sg.) ‘bekommen’
  • Unterschiedliche grammatische Formen (z.B. Verbformen oder Kasus) sind zusammengefallen, d.h. der Kontext ist nicht gerade unwichtig. Z. B. sind die Formen der 1. und 3. Person Singular im Präsens gleich, deswegen braucht man das Personalpronomen: ma tulāb : ta tulāb ‘ich komme; er kommt’. Kruțk ‘Stelze’ hat im Partitiv, Dativ, Instrumental und im Illativ Singular die selbe Form: kruțkõ.

Zum Abschluss noch ein paar Links, die ihr euch unbedingt anschauen solltet:

Livisch-estnisches Wörterbuch:
sonad.oahpa.no/livM/est/

Viel mehr zu den Liven:
www.livones.net/en
fennougria.ee/rahvad/laanemeresoome-rahvad/liivlased/

Facebookseiten:
www.facebook.com/livonianlanguage/
www.facebook.com/livuval/
www.facebook.com/livones.net/

Bildquelle: pixabay
Text: Karin Fichtner

Ungarisch-Intensivkurs 2017 in Göttingen

Im Sommer noch nichts vor?

 

Auch in diesem Jahr bietet das Finnisch-Ugrische Seminar in Göttingen wieder einen Ungarisch-Intensivkurs für Anfänger an. Der Kurs findet im Rahmen des NMWK-Projektes Sprachen für Europa. Förderung des Erlernens kleiner europäischer Sprachen statt und ist für Studierende aller niedersächsischen Hochschulen offen. 

Das Programm besteht aus einem dreiwöchigen Intensivkurs vom 07.08.2017 bis zum 25.08.2017 in Göttingen und einem einwöchigen Aufenthalt vom 26.08.2017 bis zum 31.08.2017 in Debrecen.

Das Programm in Debrecen

Die Universitätsstadt Debrecen liegt im Osten Ungarns und ist die zweitgrößte Stadt des Landes. An der dortigen Sommeruniversität werden seit 1927 Ungarisch-Intensivkurse abgehalten. Wir möchten die Universität kennenlernen und am Probeunterricht der Sommeruniversität teilnehmen. Auf dem Programm stehen außerdem die Besichtigung der reformierten Großkirche, des reformierten Kollegiums und ein Besuch im 25 km entfernten Hortobágy-Nationalpark. In Debrecen sollen die neu erworbenen Sprachkenntnisse in echten Kommunikationssituationen angewendet werden (Hotelbuchung, Wochenmarkt, Bestellen im Restaurant, Informationsschilder verstehen).

Für den Kurs gibt es ein Auswahlverfahren. Anmeldeschluss ist der 08.07.2017. Detaillierte Informationen und das Anmeldeformular gibt es auf unserer Seminarhomepage.