Samische Geschichte – Ein Überblick

Ca. 98 v. Chr. – Erste Erwähnung der Sámi als sog. Fenni in Tacitus’ Germania

14. Jahrhundert – Die Birkarlar, Händler aus Norr- und Västerbotten in Schweden, bekommen die Erlaubnis durch die Krone, mit den Sámi zu handeln und Steuern einzutreiben. Die samischen Gebiete werden unterteilt und als Lappmark bezeichnet.

1553 – Der schwedische König Gustav Vasa beschließt, dass die Krone selbst die Steuern von den Sámi eintreiben sollte und setzte dazu die sog. Lappfogdar ein.

1557 – Erste samische Wörter werden vom Seefahrer Stephen Borrough auf der Kolahalbinsel zusammengestellt und in einer tersamischen Wortliste mit 95 Wörtern notiert.

17. Jahrhundert – Bau von Kirchen und der Beginn der Missionierung von Sápmi.

1619 – Ein erstes Buch auf Samisch wird publiziert: ABC bok på lapskt tungomål (z.Dt. ABC-Buch auf samischem Dialekt). Die Sprachkenntnisse des Verfassers, Nicolaus Andreae, gelten als derart schlecht, dass der Dialekt des Samischen nicht genauer definiert werden kann.

1635 – Bau einer Silbererzgrube im Nasafjäll nahe Arjeplog. Die Sámi werden in schlechte Arbeitsverhältnisse gezwungen und mussten das Erz zur Küste transportieren.

1673 – Schefferus’ Lapponia wird veröffentlicht.

1673 – Lappmarksplakatet, eine Bekanntmachung zur Förderung der Besiedlung Lapplands, die Neusiedler in das samische Gebiet locken soll und bis zu 30 Jahre Steuerfreiheit und die Befreiung vom Militärdienst verspricht.

1751 – Festlegung der Grenze von Schweden und Dänemark-Norwegen. Als Konsequenz wird die Lappkodicille geschrieben, welche regelt, dass die Sámi sich zur Rentierzucht über die Landesgrenzen hinwegbewegen dürfen.

1852 – Kautokeino-Aufstand, in dem eine Gruppe von Sámi gegen die nicht-samische Bevölkerung Kautokeinos rebellierte. Der Aufstand endete blutig.

1886 – Einführung des ersten Rentierweidegesetzes in Schweden, in dessen Folge die Rentierzucht kollektiviert wird.

20. Jahrhundert – Politische Einstellung, dass „ein Lappe ein Lappe bleiben“ solle, d.h. dass die Sámi als rentierzüchtende Nomad:innen leben müssen.

1904 – Elsa Laula gründet die erste samische politische Organisation, Lapska centralförbundet (Lappischer Zentralverbund), und schreibt ein Pamflet Inför lif eller död? Sanningsord i de lappska förhålladena (Leben oder Tod? Wahre Worte über die lappischen Verhältnisse).

1910 – Das erste Buch eines samischen Autors wird herausgegeben: Johan Turis Erzählungen vom Leben der Lappen.

1917 – Elsa Laula beruft das erste samische Landestreffen in Trondheim, Norwegen, ein.

1919 – Die erste Rentierweidekonvention wird geschlossen. Sie reguliert die Sommerweidung der Rentiere der schwedischen Sámi in Norwegen. Die Folge sind Zwangsumsiedlungen.

1921 – Gründung des staatlichen Instituts für Rassenbiologie in Schweden.

1928 – Einführung des neuen Rentierweidegesetzes in Schweden, das die Sámi in Rentierzüchter und Neusiedler teilt.

1956 – Gründung des Sámiráđđi (Sámi-Rat), der für die Zusammenarbeit der Sámi in Finnland, Norwegen, Russland und Schweden in kulturellen und politischen Fragen zuständig ist.

1968-1982 – Die norwegische Regierung plant einen Ausbau von Wasserkraft im Altaelva mit verheerenden Folgen für die Sámi. Nach großem Widerstand wird der Ausbau in geringerem Maße durchgeführt.

1973 – In Finnland entsteht eine Delegation für samische Fragen, die 1996 zum Sámi-Parlament umgewandelt wird.

1986 – Kirste Paltto wird für den wichtigsten finnischen Buchpreis, den Finlandia-Preis, nominiert.

1987 – Der erste gänzlich samischsprachige Kinofilm Ofelaš (dt. Titel Pathfinder) kommt in die Kinos und wird ein Jahr später für den Oscar in der Kategorie Bester fremdsprachiger Film nominiert.

1989 – Gründung des norwegischen Sametings nach Veränderungen in der norwegischen Politik.

1991 – Nils-Aslak Valkeapää erhält den Literaturpreis des Nordischen Rates.

1993 – Gründung des schwedischen Sametings; Jagd auf Kleinwild wird freigegeben und somit kommunal verwaltet, was zu einem schwindenden Einfluss der Samebyar führt.

2000er – Die Ausbeutung Sápmis wird fortgesetzt: Durchführung von Untersuchungen für neue Gruben, Bau von Windparks und neuen Tourismusanlagen ungeachtet der Rentierweideplätze.

2000 – In Schweden tritt das erste samische Sprachgesetz in Kraft.

2010 – Das Sprachgesetz in Schweden wird ausgeweitet: Sámi haben nun die Möglichkeit, u.a. auch Behördengänge auf Samisch zu erledigen.

2010er – Ein größeres Interesse an samischer Kunst und Kultur entwickelt sich.

2016 – Der Film Sameblod kommt in die Kinos und gewinnt eine Vielzahl an Preisen.

2018 & 2020 – Linnéa Axelsson und Elin Anna Labba gewinnen den wichtigsten schwedischen Buchpreis, Augustpriset.

2020 – Der oberste Gerichtshof in Schweden fällt das Urteil, dass die Gemeinde Girjas die Jagd- und Fischereirechte ihrer Gebiete fortan selbst verwalten darf.

2013 bis heute –Beowulf Mining will eine Eisenerz-Grube errichten und Probebohrungen in Gállok, Schweden durchführen. Der Widerstand aus der samischen Bevölkerung und von Naturschützern ist groß. Die schwedische Regierung stimmt dem Vorhaben im März 2022 zu. Naturschützer klagen im Juni 2022 gegen das Urteil.

Quellen:
Bartens, Raija und Hans-Hermann. 1994. Lappische Anthologien – Lappisches in Anthologien. In: Gulya, J. & Lossau, N. 1994. Anthologie und interkulturelle Rezeption. Opuscula Fenno-Ugrica Gottingensia VI. 41-65.
Fjellgren, Patricia & Nord, Malin. 2021. Två tusen år av kulturmöten, undanträngning, motstånd och organisering. In: Fjellgren, Patricia & Nord, Malin. 2021. Inifrån Sápmi. Stockholm. 21-34.
Gaski, Harald. 1998. Die samische Literatur. In: Jens, Walter (Hrsg.). 1998. Kindlers Neues Literaturlexikon. Band 20. Essays & Register. München. 348-351.
Hirvonen, Vuokko. 2006. Saamische Literatur. In: Glauser, Jürg (Hrsg.). 2006. Skandinavische Literaturgeschichte. Stuttgart/Weimar.
Larsson, Lars-Gunnar. 2021. Johan Öhrling und das Lexicon Lapponicum. In: Bartens, Hans-Hermann; Larsson, Lars-Gunnar; Mattsson, Katja; Molnár, Judit; Savolainen, Tiina. 2021 [2020]. Kīel joug om šīld. Festschrift zum 65. Geburtstag von Eberhard Winkler. Wiesbaden. 209-228.
Winkler E., Haarmann H. 2002: Samisch. Okuka M. (Hg.): Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Klagenfurt, 693–707. https://eeo.aau.at/wwwg.uni-klu.ac.at/eeo/Samisch.pdf
https://www.naturskyddsforeningen.se/artiklar/gallok-gruvan-kritiken-och-konsekvenserna-for-naturen/
http://www.laits.utexas.edu/sami/dieda/hist/kautokeino.htm
https://www.saamicouncil.net/se/hem/
https://de.wikipedia.org/wiki/Pathfinder_(Film)
https://www.augustpriset.se
https://fi.wikipedia.org/wiki/Finlandia-palkinto



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Die Sámi in Russland

Die indigene Bevölkerung Nordeuropas, die Sámi waren bereits im 7. Jahrhundert n. Chr. über die ganze Kola-Halbinsel verstreut und lebten als Rentiernomaden und Fischer im Rhythmus der arktischen Natur. Sie mussten erst den Kareliern, dann dem Nowgorod, den Norwegern und Moskowitern Tribut leisten. Die erste russische Kolonisierung erfolgte durch christlich orthodoxe Missionare. Die Bevölkerung wurde getauft und Kloster wurden gegründet mit dem Ziel, neues Territorium zu erobern. Ab dem 18. Jahrhundert wurden die Sámi zusätzlich zu der Kirche noch vom Staat ausgebeutet, der sich u.a. für Pelze, Fisch, Robben, Walrosse, Lebertran und Stoßzähne interessierte. Nach der Abschaffung der Leibeigenschaft Mitte des 19. Jahrhunderts brauchten die Sámi, die bisher nur Tauschhandel kannten, Geld für die Steuern. Sie wurden häufig von Händlern betrogen und vor allem mit Hilfe von Alkohol zu schlechten Geschäften überredet. Zur selben Zeit wollte die russische Regierung die Halbinsel mit anderen Bevölkerungsgruppen besiedeln, mit Finnen, die damals zu Russland gehörten, und Russen aber auch mit Komi. Die Weideländer der Rentiere wurden als Ackerland benutzt und die traditionelle halbnomadische Lebensweise begann zu verschwinden. 

In der Sowjetzeit wurden viele Sámi in Kolchosen gezwungen und das Land wurde zu großen Teilen für Industrie, Bergbau und Militär genutzt. Um die Sámi im Sinne der neuen Ideologie zu erziehen, wurden Schulen und Internate gegründet, in denen der Kontakt zu den Eltern und somit zu der Lebensart und den Traditionen unterbunden wurde. Als Folge dieser Politik bildeten die Sámi am Ende der Sowjetzeit die unterste Schicht der Bevölkerung, über ihnen waren die Komi und ganz oben die Russen. Die absolute Anzahl der Sámi war seit dem 19. Jahrhundert ungefähr gleichgeblieben und betrug 1890 Personen, prozentuell bildeten sie jetzt aber nur 0,2% der Bevölkerung. Sie waren zwangsurbanisiert, ohne Verbindung zur Natur und Rentierzucht, häufig arbeitslos und alkoholsüchtig, weitgehend vom Staat abhängig. Die samische Sprache wurde von ihnen selbst als lästig und schädlich betrachtet, ein Drittel der Sámi war ausschließlich russischsprachig.

Schadstoffe aus der Industrie gefährdeten das Leben auf der Halbinsel, sie verursachten sauren Regen und verschmutzten die Tundra mit Schwermetallen. In den 1980ern wurde ein provisorisches Atommülllager eingerichtet, in dem bis heute ausgebrannte Brennstäbe von Reaktoren sowjetischer U-Boote in baufälligen Hallen lagern. Mehr als 30 Reaktoren stehen in einem weiteren Lager.

1989 wurde die Organisation der Kola-Sámi in Murmansk gegründet, zehn Jahre später eine zweite in Lowosero, wo heute die meisten Sámi wohnen. Beide Organisationen haben einige hundert Mitglieder und die Aufgabe, die Interessen der Sámi zu vertreten. Aus dem Westen erhalten sie humanitäre Hilfe, mit der sie die hilfsbedürftigsten samischen Familien unterstützen. Im Jahr 2001 wurde in Murmansk ein lokales Gesetz erlassen, das die Sámi als indigene Bevölkerung nennt und ihre traditionelle Lebensweise wenigstens theoretisch schützt. Von der Gründung eines Sámi-Parlaments war schon die Rede, es ist aber noch lange nicht in Sicht, denn es fehlt sowohl das Geld auch als die Zustimmung der russischen Autoritäten. Einige Sámi glauben aber noch an eine bessere Zukunft, andere haben die Hoffnung wegen Korruption und Willkür der Behörden längst aufgegeben.

Quellen:

Du studierst Finnowas?!

“Du studierst Finnowas?!”

So oder so ähnlich lautet meist die erste Frage, die man beantworten muss, wenn man als Studierender der Finnougristik anderen Menschen von seinem Studienfach erzählt. Die wenigsten können mit dem Begriff etwas anfangen und sind meist sehr überrascht, wenn sie hören, dass es so etwas gibt wie eine finnisch-ugrische Sprachfamilie und dass Finnisch und Ungarisch miteinander verwandt sind. Dies und noch weitaus mehr lernt man, wenn man sich für ein Studium der Finnougristik (oder auch: Finnisch-Ugrische Philologie) entscheidet.

Bei uns in Göttingen gibt es zwei wesentliche Studienbestandteile, die Sprachwissenschaft und die Sprachlehre. Man lernt also nicht nur einige der Sprachen, sondern beschäftigt sich auch damit, was diese Sprachen ausmacht und warum sie miteinander verwandt sind. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Sprachen werden analysiert und man studiert die historische Entwicklung, nur um einige Beispiele zu nennen. Natürlich gibt es in der Sprachwissenschaft noch viele weitere Bereiche, die auch für ein Studium unseres Faches eine Rolle spielen und die man im Laufe des Studiums kennenlernen wird.

Finnisch-ugrische Sprachen gibt es insgesamt 15, auf die sich ca. 22 Millionen Muttersprachler verteilen. Die bekanntesten dieser Sprachen sind Finnisch, Estnisch und Ungarisch. Finnisch und Ungarisch kann man an unserem Seminar als Schwerpunkt studieren. Aus den beiden “großen” Sprachen wählt jeder Studierende zu Anfang seine Wunschsprache als Erstsprache aus – aber keine Sorge! Auf die andere Sprache muss man keineswegs verzichten, denn man belegt während des Bachelor-Studiums auch einen Anfängerkurs in der Zweitsprache. In diesem erlernt man die wichtigsten Grundlagen und Strukturen.

Ein paar weniger bekannte Sprachen, die ebenfalls zur finnisch-ugrischen Sprachfamilie gehören, sind beispielsweise Wotisch, Ingrisch, Udmurtisch, Mordwinisch oder auch Mansi. Die Namen mögen am Anfang vielleicht noch etwas seltsam klingen, aber spätestens nach zwei Semestern sind sie etwas, was jedem leicht über die Lippen gehen wird.

Dass die Finnen in Finnland, die Esten in Estland und die Ungarn in Ungarn leben, ist natürlich keine große Überraschung, doch wo leben die Völker der anderen 12 Sprachen?
Sie verteilen sich auf ein sehr großes Gebiet, das von Skandinavien über das Baltikum bis nach Sibirien reicht. So gibt es beispielsweise die Sami in Norwegen, Schweden, Finnland und auf der Kola-Halbinsel, die Liven lebten im heutigen Lettland und die meisten finnougrischen Völker haben ihre Heimat auf russischem Staatsgebiet.

Wer sich für ein Finnougristik-Studium entscheidet, hat es also mit einer Vielzahl an interessanten Sprachen und Kulturen zu tun und lernt, wie Sprachwissenschaft funktioniert. Seiner Familie und seinen Freunden hat man immer wieder etwas Spannendes zu erzählen, denn man lernt jede Woche neue Dinge, die man vorher noch nicht über die Finnougrier und ihre Sprachen wusste.

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