Das Gebet Ras’ken’ ozks 2022 – ein Nationalfest ohne Nationalflagge

Rasken ozks (Раськень озкс; ersjanisch raske ‘Volk, Sippe’ und ozks ‘Gebet’) ist ein altes ersjanisches Gemeinschaftsgebet, das im 17. Jh. verboten und 1999 wiederbelebt wurde. Seit 2004 ist das Gebet offizielles Nationalfest der Republik Mordwinien (Russiche Föderation).

Am 9. Juli 2022 wurde das Gebet zum ersten Mal ohne die ersjanische Flagge abgehalten: die Behörden untersagten nicht nur das Hissen einer ersjanischen Flagge, selbst die bereits aufgehängten Fahnen wurden von den Ordnungskräften entfernt. Nur die Flaggen der Republik Mordwinien und der Russischen Föderation durften gehisst werden.

Warum ist das ein Problem?

Die Ersja sind ein finnisch-ugrisches Volk. Traditionell werden sie mit zwei weiteren Völkern, den Mokscha und den Schokscha, einer größeren Volksgruppe zugeordnet und Mordwinen genannt. Sich selbst bezeichnen sie aber jeweils ausschließlich als Ersja, Mokscha und Schokscha, in ihren Sprachen existiert keine Entsprechung für das Wort Mordwinen. Sie betrachten sich nicht als ein einheitliches Volk und ihre Sprachen nicht als Dialekte einer gemeinsamen Sprache, sondern betonen ihre Selbstständigkeit.

Die Ersja, Mokscha und Schokscha leben vor allem in der Republik Mordwinien in der Russischen Föderation. Ihre Republik hat drei Amtssprachen: Russisch, Ersjanisch und Mokschanisch. Innerhalb der Republik Mordwinien leben aber nur etwa ein Drittel der „Mordwinen“ und stellen ca. 39 % der Bevölkerung. Der Rest lebt in anderen Gebieten und Republiken  Russlands.

Die Ersja leben seit dem 13. Jahrhundert unter starkem russischem Einfluss. Sie wurden christianisiert und größtenteils russifiziert. Politische und Kulturorganisationen setzten sich im 20. und 21. Jh. als Ziel, die Tradition und die Sprache zu erhalten sowie die alte Religion wieder zum Leben zu erwecken.

Das Gebet Rasken ozks

Rasken ozks findet alle drei Jahre im Dorf Čukalо (russ. Tschukali) in einer Senke an einem Bach statt. Der Ort wurde nicht zufällig gewählt: im Jahr 1612 besiegten hier ersjanische Krieger und Vertreter anderer Völker die Nogaier, eine tatarische Horde. An dieser Stelle sollen etwa 11 000 Soldaten begraben liegen: Ersja, Mari, Tschuwaschen und Udmurten. Im Jahr 1629 kamen Ersja aus den Gebieten Nischni Nowgorod und Alatirsk zum ersten Mal hierher, um zu beten.

Bei Sonnenaufgang wird ein mit Blumen geschmückter Opfer-stier geschlachtet, das Fleisch wird in Kesseln gekocht. In der Mitte der großen Lichtung steht der Maar-Hügel, der von den Ersja viele Jahrhunderte lang mit Erde, die sie von ihren Wohnorten mitbrachten, aufgeschüttet wurde. Hier steht die große Kerze des Volkes, erzan štatol, für deren Herstellung ausschließlich Bienenwachs verwendet wird, das von allen Ersja zwischen den Gebeten gesammelt wurde.

Erzianj jurnalist. Собственная работа, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=59382431

Rasken ozks ist mehr als ein großes Gebet. Hier diskutieren die Ersja wichtige gesellschaftliche, politische, kulturelle Themen und planen ihre Zukunft. Am Tag des Gebets kommt das höchste ständige repräsentative Organ des ersjanischen Volkes, atan ezem ‘Bank der Ältesten’, zusammen. Die demokratisch gewählten Mitglieder vertreten die ersjanischen Gemeinden und Organisationen. Vor dem Gebet beruft der amtierende erzan inazoro ‘Oberhaupt der Ersja’ den Ältestenrat ein: auf dem Hügel sind im Halbkreis Holzbänke aufgestellt, auf denen die Mitglieder sitzen. Vor dem Gebet werden das neue Oberhaupt und seine beiden Stellvertreter:innen per Abstimmung gewählt. Danach lädt das frisch gewählte Oberhaupt alle Anwesenden ein, sich am Gebet zu beteiligen.

Im Jahr 2022 konnten keine Wahlen stattfinden, da es vielen unmöglich war, zum Gebet anzureisen. Der 2019 gewählt Ältestenrat führt seine Arbeit weiter. Der amtierende inazoro, Bolajen Sires (Oleksandr Bolkin) lebt in der Ukraine.

Heutzutage treten auch Regierungsvertreter:innen Mordwiniens auf die Bühne und halten eine Rede – auf Russisch. 2022 wurde sogar ein „Pseudokönig“ präsentiert, ein Schauspieler, um das Fest wie gewohnt feiern zu können.

Nach den Reden versammeln sich die Menschen um den Maar-Hügel und von der kleinen Lichtung, auf der der Stier geopfert wurde, kommt Ozava, die Gebetsleiterin, mit einer kleinen Kerze. Begleitet wird sie vom weltweit bekannten Folkloreensemble Torama und einer Menschengruppe, die die Volkshelden der Ersja darstellt.

Einer der Ältesten zündet die Stammeskerze an und drückt damit die Einigkeit des Volkes und die Hoffnung auf Wohlstand und auf ein glückliches Leben aus. Ozava hebt ihre Hände zum Himmel und betet laut vor, die Menschen sprechen das Gebet nach. Zuerst werden die Götter und Göttinnen angesprochen, dann die Ahnen, denn die Ersja glauben, dass die Seelen der Vorfahren hier erscheinen werden, um mit ihnen das Gebet zu feiern. Ozava ruft die alten Könige und große Persönlichkeiten der Ersja an, die dem Volk erzählen, wofür sie kämpften und wofür sie gestorben sind.

Anschließend wird ein Pferd mit einem Pflug um den Maar-Hügel geführt, hinter ihm gehen die Ersja, die die mitgebrachte Erde auf den Boden des Maar-Hügels schütten. Das Pferd ist für die Ersja heilig, dem Mythos zufolge wurde es vom Gott Ineškipaz an sie übergeben.

https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3180049

Heute ist das Gebet ein Volksfest: Überall stehen Stände, an denen authentische und weniger authentische Souvenirs verkauft werden, Sport- und Unterhaltungswettbewerbe, Konzerte finden statt, es wird viel Russisch gesungen und gesprochen. Beim diesjährigen Gebet betonte das Oberhaupt der Republik Mordwinien Artjom Sdunow, dass das Fest in Zukunft noch größer ausgerichtet werden muss. Sdunow sprach auch über die Wichtigkeit des Erhalts der ersjanischen Sprache und Kultur. Umso mehr irritiert es, dass die weiß-rot-schwarze Flagge der Ersja, deren Farben die Heiligkeit des Jenseits tonači, das Leben auf der Erde mit Feuer und Blut und die Erdengöttin Mastorava symbolisieren, nicht gehisst werden durfte. Aktivisten und Aktivistinnen stellen die Frage, ob bald auch der Gebrauch der ersjanischen Sprache verboten wird.

Hier kann man sich das Gebet anschauen:

Quellen:

https://www.idelreal.org/a/31939872.html

https://erzianj-jurnal.livejournal.coм/61529.html

Mészáros, Edit – Molnár, Judit (2005): A mordvinok. In: Pusztay, János (ed.). A Volga- Káma-vidék finnugor népei. Szombathely: Az Uralisztika Tanszék kiadványai 11. 9-37.

Titelbild: Петрянь Андю. Собственная работа, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2963195

Sind die Ungarn eigentlich religiös?

Im Rahmen meines Praktikums habe ich die Aufgabe bekommen, mich mit den verschiedenen Religionen Ungarns auseinanderzusetzen. Ich habe die Informationen so zusammengetragen, dass man aus diesen Folien erstellen kann und dass sie anschließend für den Unterricht genutzt werden können.

Aufgrund der zahlreichen Informationen ist mir der Gedanke gekommen, dass dieses Thema dem Blog nicht vorenthalten bleiben soll, weswegen ich mich letztlich dazu entschieden habe, einige meiner Ergebnisse hier zu veröffentlichen.

Im Rahmen der Volkszählungen 2001 und 2011 wurde auch nach der Religionszugehörigkeit gefragt. Sowohl im Jahr 2001 als auch 2011 war der Anteil der Katholiken am größten. Die Reformierten (Kalvinisten) bilden die zweitgrößte Religionsgemeinschaft des Landes. Doch während die Mitgliederzahlen der beiden größten Religionsgemeinschaften in innerhalb von zehn Jahren deutlich abgenommen haben, steigt die Anzahl der Konfessionslosen und der Befragten, welche die Frage nach ihrer Religionszugehörigkeit unbeantwortet ließen. Auch die Zahl der Anhänger der evangelisch-lutherischen Kirche ist gesunken die Zahl der Mitglieder kleinerer christlicher Kirchen und anderer Weltreligionen, die in Ungarn vertreten sind, stieg dagegen leicht an.

Religion: 2001 (%): 2011 (%):
Katholiken 54,5 39
Reformierte
(Kalvinisten)
15,9 11,6
Lutheraner 3 2,2
Kleinere
christliche
Kirchen
1 1,5
Andere
Weltreligionen
0,3 0,5
Konfessionslos 14,5 18,2
Keine Antwort 10,8 27,2

Quelle: Máté Olga: Egyházak, vallásosság Magyarországon – Képviselői Információs Szolgálat, 2019/3. Infotabló.

Allgemein lässt sich feststellen, dass die Zahl der Mitglieder der großen Religionsgemeinschaften rückläufig ist, während an kleineren Religionen immer mehr Interesse gezeigt wird. Sowohl Einwanderung, als auch Auswanderung spielen dabei eine große Rolle, genauso wie Übertritte von einer Religion zu einer anderen.

Prognose bis 2050: Anzahl der Mitglieder von Glaubensgemeinschaften sinkt

Laut Prognosen werden christliche Glaubensgemeinschaften weiter Mitglieder verlieren, während die Zahl der Konfessionslosen wächst und das Interesse an Kirche und Religion deutlich abnimmt.

2010 20302050
Christliche
Glaubensge-
meinschaften
8 090 0007 250 000 6 500 000
Konfessionslos 1 860 0002 040 0001 990 000

Quelle: https://de.statista.com

Kirchenfinanzierung durch Mandatssteuer Was ist das?

In Ungarn gibt es statt einer Kirchensteuer eine Mandatssteuer. Die Mandatssteuer dient sozialen, kulturellen und humanitären Zwecken und wird von allen Steuerzahlern gezahlt. Der Steuerzahler kann selbst entscheiden, wer seinen Steuerbeitrag erhalten soll: so geht 1% der Einkommenssteuer an eine vom Steuerzahler selbst gewählte Organisation oder Institution. Die Mandatssteuer ist auch eine gute Alternative zur Kirchensteuer und kommt vielen kirchlichen und religiösen Einrichtungen zugute.

Die katholische und die reformierte Kirche profitieren am meisten von den Mandatssteuern, da diese auch die größten Religionsgemeinschaften Ungarns sind. Die evangelisch-lutherische Kirche, die Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein, sowie die Baptistenkirche folgen mit erheblichem Abstand, da diese Religionen auch deutlich weniger Mitglieder haben. Ein kleiner Anteil geht an andere Kirchen, das sind meist die kleineren christliche Kirchen oder Einrichtungen anderer Glaubensgemeinschaften.

Kirchliche Bildungseinrichtungen

In Ungarn waren 2019 insgesamt 10,6 % der Bildungseinrichtungen, wie zum Beispiel Schulen oder Kindergärten, in kirchlicher Trägerschaft. Die Kirche spielt in diesen Einrichtungen eine sehr große Rolle, indem sie beispielsweise vorgibt, wie die Lehrer unterrichten und welche Themenbereiche sie behandeln sollen.

Allerdings werden 89,4 % der Bildungseinrichtungen nicht von der Kirche finanziert und stehen dementsprechend nicht in einer engen Verbindung mit einer Religion.

Im Gegensatz zu Ungarn, gibt es in Deutschland deutlich mehr Bildungseinrichtungen in kirchlicher Trägerschaft. Es gibt alleine 904 katholische Schulen in Deutschland (Stand 2016), welche von Kirchensteuereinnahmen finanziert werden.

Quellen:

https://fowid.de/meldung/konfessionsfreie-ungarn

Máté Olga: Egyházak, vallásosság Magyarországon – Képviselői Információs Szolgálat, 2019/3. Infotabló.

https://religion.orf.at

https://de.statista.com

https://de.wikipedia.org/wiki/Mandatssteuer

Bild: Daniel Olah on Unsplash

Text: Caroline Sophie Heimrich, OHG Göttingen, Praktikantin