Geister in Helsinki

Finnlands Hauptstadt Helsinki hat eine lange und vielseitige Geschichte, die Einige in den Bootstouren und Stadtführungen, die besonders in der sommerlichen Touristensaison zahlreich angeboten werden, vielleicht schon kennengelernt haben. In der dunklen Hälfte des Jahres zeigt sich die Stadt aber von einer anderen Seite: bei dem „Kummituskävely“ erfährt man von den Gespenstern, die in den historischen Gebäuden und Plätzen Helsinkis ihr Unwesen treiben. Diese Führungen sind trotz der kalten Herbstnächte sehr beliebt, weshalb es nicht einfach ist, einen Platz zu bekommen. Wer aber mutig genug ist, kann sich mit dem Stadtführer Helsingin henget. Opas aaveiden pääkaupunkiin selbstständig auf Geisterjagd begeben. Darin finden sich Ortsbeschreibungen und historisches Hintergrundwissen, aber auch die Geistergeschichten selbst.

Im Piperin puisto auf der Festungsinsel Suomenlinna zum Beispiel gibt es einen Teich, der auch „Lemmenlampi“ genannt wird, also „Teich der Liebe“. Der romantische Klang trügt: Ende der 1700er versuchte ein Pärchen, das aufgrund von Standesunterschieden nicht zusammenbleiben durfte, sich darin zu ertränken. Der weite Rock der Frau allerdings schwamm auf der Teichoberfläche und alarmierte einen Spaziergänger, der die Frau daran aus dem Teich zog – sie überlebte allein. Aus Schuldgefühlen soll sie noch immer um den Teich wandern, und in der Dämmerung schimmert ihr Fußknöchel über der Wasseroberfläche.

Mysteriöser ist die Gestalt der weißen Dame, die hin und wieder beim Verlassen des 1952 gegründeten Restaurants Walhalla – ebenfalls auf Suomenlinna – gesichtet wird. Sie schwebt zur Vorderseite hinaus und löst sich in Luft auf. Man vermutet, dass sie etwas sucht, doch ihre Identität und Geschichte kennt niemand.

Auch im beliebten Café Kappeli in den Esplanaden nahe dem Markt soll es spuken, allerdings mit weniger Mysterium: der Besitzer und Gastwirt Josef Wolontis hat sich nach seinem Tod nicht von seinem ehemaligen Betrieb trennen können, und sorgt seit 1980 regelmäßig für seltsame Begebenheiten. Mal verschwindet nach Schließzeiten ein Stuhl und taucht am nächsten Tag aus dem Nichts wieder auf, mal fallen im Keller Gegenstände aus den Regalen. Wer, um ihn zu treffen, als Gast dort regelmäßig einkehren möchte, sollte allerdings im Vorhinein etwas Geld sparen: es ist dort sehr teuer.

Interessanter sind die Geschichten, die sich um die „Grauen Frauen“ ranken, weibliche Geisterscheinungen, die meist aus dem viktorianischen Zeitalter stammen. Oft handelt es sich dabei um Frauen, die mit den gesellschaftlichen Erwartungen ihrer Zeit in Konflikt gerieten und auch nach ihrem Tod noch nach ihrem eigentlichen Platz suchen. Eine von ihnen, kopflos, soll im Rathaus gesichtet worden sein – dort bewegen sich seitdem die Fahrstühle immer mal von selbst, ohne dass jemand ein- oder ausgestiegen wäre.

Text: Eva Kraushaar

Quellen:
Kairulahti, Vanessa und Karolina Kouvola. Helsingin Henget. Opas aaveiden pääkaupunkiin. Suomalaisen Kirjallisuuden Seura 2018
Kruununhaan kummitustarinat -kummituskävely | Event | City of Helsinki
Titelbild: Joakim Honkasalo auf Unsplash

Von unglücklichen Männern, Typenhäusern und davon, wie “Der Pate” nach Finnland kam

All diese Dinge finden sich in Kari Hotakainens Werken. Der Schriftsteller wurde 1957 in Pori geboren und ist einer der erfolgreichsten finnischen Autoren auf dem Gebiet der Männerliteratur. Neben Romanen schreibt er Kinder- und Jugendliteratur, Biographien, Gedichte und Theaterstücke. Seine Werke wurden mitunter sogar verfilmt. Hotakainens bisher größte Erfolge waren wohl der Finlandia-Preis im Jahr 2002 und der Literaturpreis des Nordischen Rates im Jahr 2004, die er beide für den Roman Aus dem Leben eines unglücklichen Mannes (Original: Juoksuhaudantie, z. Dt. Schützengrabenstraße) bekam.

In Helsinki, wo Hotakainen seit 1986 lebt, studierte er finnische Literatur. Die Hauptstadt ist zudem meist der Spielort seiner Romane, kommen seine Figuren doch immer aus dem städtischen Millieu. Hotakainens Protagonisten sind meist männlich, ihr Leben verändert sich nach einem schicksalhaften Wendepunkt stark. Sie sind gescheiterte Existenzen, die ihren Platz in der Welt suchen, aber dabei häufig an ihre Grenzen stoßen.

In Hotakainens wohl erfolgreichstem Roman Juoksuhaudantie wird der Hauptcharakter Matti Virtanen nach einem Ausraster von seiner Frau verlassen. Er setzt sich in den Kopf, sie und die gemeinsame Tochter zurückzugewinnen, indem er ihr das Haus besorgt, das sie sich immer gewünscht hat: ein Typenhaus.* Die Suche nach dem perfekten Heim wird jedoch zur Besessenheit und Matti selbst merkt nicht, wie sehr er sich immer mehr von der Wirklichkeit und dem richtigen Leben entfremdet. Für ihn zählt nur noch das perfekte Haus, weil es ein Symbol für die heile Welt ist, in der die Familie wieder zusammenkommt.

Etwa 20 Jahre früher spielt Hotakainens Roman Sydänkohtauksia, eli, Kuinka tehtiin kummisetä (Lieblingsszenen) von 1999. Dieser Roman erzählt die Geschichte des arbeitslosen Familienvaters Raimo, einem begeisternten Fernsehzuschauer mit einer Vorliebe für Filme, in denen Waffengewalt an der Tagesordnung ist und nicht viel geredet wird. Er will die Gelegenheit am Schopf packen, den großen Filmgrößen ganz nah zu kommen, als der Film Der Pate plötzlich in Finnland gedreht wird. Raimo ernennt sich selbst ungefragt zum Berater der Filmcrew und stürzt damit nicht nur das Set, sondern auch sein eigenes Lebens ins Chaos.

Finden Hotakainens Romane ein versöhnliches Ende und die Protagonisten ihr Glück? Diese Beurteilung bleibt dem Leser selbst überlassen. Nur so viel sei gesagt: Der Pate wird gedreht und Matti findet das perfekte Haus. Aber zu welchem Preis?

*Typenhäuser (fi. tyyppitalo) sind Häuser, die gleich aussehen und nach einem bestimmten Muster gebaut sind. Im konkreten Fall des Charakters Matti geht es dabei um das sog. Rintamamiestalo – ein Frontkämpferhaus. Die Baupläne für diese Häuser wurden Kriegveteranen nach dem 2. Weltkrieg geschenkt. Sie waren für eine Familie ausgelegt.

Quellen:
https://www.kirjasampo.fi/fi/kulsa/kauno%253Aperson_123175927844363
https://fi.wikipedia.org/wiki/Tyyppitalo#Rintamamiestalo
https://www.kirjasampo.fi/fi/kulsa/kauno%253Aateos_29882
https://www.perlentaucher.de/buch/kari-hotakainen/lieblingsszenen.html

Bildquelle: Photo by Timothy Eberly on Unsplash

Büchereien in Finnland

Lesen ist das Lieblingshobby der Finnen. Sie gehören nicht nur zu den Spitzenreitern der Welt in Lesefertigkeit, in der Anzahl der jährlichen Neuveröffentlichungen sowie in der Zahl der publizierten Zeitungen, sondern auch zu den fleißigsten Bibliotheksbesuchern. Es gibt 817 öffentliche Büchereien in Finnland, 134 davon sind mobil und fahren über 10.000 Haltestellen an. Sie sind kostenlos und werden von den Kommunen mit staatlicher Hilfe finanziert. Ihre Aufgaben wurden bereits in den 1920ern durch Gesetz geregelt. In der jungen Republik hat man kommunale Büchereien als Voraussetzung für die Erhaltung der eigenen Sprache und Kultur betrachtet, und selbst in den wirtschaftlich schwierigsten Jahren hat man auf die Gebührenfreiheit der Büchereien nicht verzichten wollen.

Das Büchereigesetz garantiert der gesamten Bevölkerung gleichberechtigten Zugang zu Bildung, Kultur und Information. Dass Informationen und Wissen allen zur Verfügung stehen müssen, bildet einen der Grundsteine des nordischen Wohlfahrtsstaatsmodells. Die Büchereien haben die Aufgabe, Materialien, Informationen und Kulturinhalte zu bieten, eine vielseitige und ständig aktuelle Sammlung aufrechtzuerhalten sowie Räumlichkeiten für das Lernen, für Hobbys und Arbeiten anzubieten.

https://fi.wikipedia.org/wiki/Tiedosto:Oodi_double-helix_staircase.jpg CC-By-TuukkaH

Das alles bietet auch Oodi, die neue Zentrumsbibliothek der Stadt Helsinki, die sich Finnland zur Feier der 100-jährigen Unabhängigkeit geschenkt hat. Sie steht auf dem zentralen Platz zwischen Bahnhof, Parlamentsgebäude, Musikhaus und Finlandia-Haus. Neben Büchern und sonstigen gedruckten Materialien kann man sich Hörbücher, Filme, Musik, Noten, Computer- und Konsolenspiele, Karten, Brettspiele aber auch Werkzeug oder eine Nähmaschine ausleihen bzw. diese vor Ort alleine oder mit Freunden benutzen.

Oodi wurde am 05.12.2018 eröffnet. In den ersten Wochen war die Bibliothek so beliebt, dass man bei Wind und Wetter Schlange stehen musste, um hereinzukommen. In den ersten acht Monaten gab es bereits weit über 2 Millionen Besucher. Ende August 2019 wurde Oodi bei der internationalen Fachkonferenz des Dachverbands des Bibliothekswesens in Athen zur besten neuen öffentlichen Bibliothek gewählt.

Quellen:
https://www.stat.fi/tup/suomi90/huhtikuu.html
https://fi.wikipedia.org/wiki/Kirjasto
http://www.lukukeskus.fi/
https://finland.fi/de/leben-amp-gesellschaft/finnland-liestsich- gut/
https://www.sanomalehdet.fi/sanomalehtitieto
http://tilastot.kirjastot.fi
https://yle.fi/uutiset/3-10940050

Quelle des Titelbildes:
https://fi.wikipedia.org/wiki/Tiedosto:Oodi_July_2019_2.jpg, CC-By-Vadelmavene