Von Turku und Zweiwortsätzen

Ob ich nicht doch lieber ein Zimmer in der anderen Wohnung wolle, hat mein Vermieter mich gefragt. Die läge näher an der Natur. Ich habe abgelehnt, und jetzt dauert es geschlagene vier Minuten zu Fuß, bis ich den Kiesweg erreiche, der sich am Fluss entlang durch die Waldstücke und Felder am Rand von Turku nach Osten schlängelt und vergessen lässt, dass er nur einen Kilometer vom Zentrum der Stadt entfernt beginnt, die eigentlich gar nicht mal so klein ist.

Dass der nahe Wald ja gar nicht so groß sein kann, denkt man, bis man sich darin verläuft. Dann stößt man auf interessante Felsformationen uns ist sehr froh, dass in Finnland der Empfang überall gut ist.

Die freundliche Atmosphäre der Stadt selbst liegt in den unzähligen Cafés und Bars, die sich am Flussufer entlangreihen, in der gemütlichen Ausstrahlung der alten Holzhäuser, die noch zu finden sind, und in den altehrwürdigen Gebäuden wie der Stadtbibliothek oder der Tuomiokirkko.

Die Architektur zeigt, dass die Stadt alt ist, Läden, Kultur und Menschen zeigen, dass sie jung ist: wer an Kunst interessiert ist, findet ein romantisches Gässchen mit Handwerksläden und Workshop-Möglichkeiten, bevor sie vor dem Museum für Archäologie und Moderne Kunst wieder auf die Straße tritt. Wer an Literatur und günstigem Kaffee interessiert ist, findet im benachbarten Innenhof das Kirjakahvila. Wer gern feiert, findet Bars auch in den Booten, die im Fluss vor Anker liegen.

Wer seit vielleicht zwei Jahren Finnisch lernt, hat erstmal ein Problem. Der Turkuer Dialekt nämlich ist gar nicht leicht zu verstehen, und während ich in Helsinki und Jyväskylä schonmal Straßengespräche aufschnappe, fühle ich mich an einer Turkuer Supermarktkasse, als wäre ich versehentlich ins falsche Land gezogen. „Ich würde es ja feiern, wenn du am Ende des Studienjahres mit einem Turkuer Finnisch nach Hause gehst“, lacht meine Tutorin, die mich am ersten Tag durch die Stadt begleitet. Die Uni Turku ordnet allen Erasmus-Studierenden Tutor*innen zu, sodass man sich nicht allein zurechtfinden muss. Im Allgemeinen wird sich sehr gut um uns gekümmert: zu allem gibt es E-Mails, in denen genaue Erklärungen und Anweisungen stehen (Corona-Situation, Pop-Up Impfmöglichkeiten ohne Termin, Impfmöglichkeiten mit Termin, Vorsichtsmaßnahmen, Einführungsveranstaltungen, Kursregistrierungen, Bibliotheksnutzung etc), und dann gibt es die Einführungswoche mit Orientierungsveranstaltungen, in denen alles, was in den E-Mails stand, noch einmal erklärt wird. Untergehen kann man hier nicht.

Nicht einmal in den finnischsprachigen Seminaren, die auf Nicht-Muttersprachler*innen ausgelegt sind. Seit den Schrecken eines abgebrochenen Lateinstudiums begegne ich universitären Sprachkursen immer mit anfänglicher Vorsicht, aber meine Besorgnis stellt sich hier in Turku, wie auch schon in Göttingen, als unbegründet heraus. Als die einzige andere Bachelor-Austauschstudentin und ich das erste Mal unsere Dozentin treffen, ist die schon darauf vorbereitet, dass wir, aufgeregt und ein bisschen eingeschüchtert, noch nicht so viel sagen. Sie leitet das Gespräch, stellt Fragen, auf die man mit nur ein oder zwei Worten antworten kann. Scherzt, sodass wir und die etwa zwanzig anderen Kursteilnehmenden uns entspannen. Die Atmosphäre ist locker, wer nicht so viel sagen möchte oder kann, wird in Ruhe gelassen, Fragen auch nach gerade erklärten Dingen werden geduldig und freundlich beantwortet. Im Vorlesungssaal wird mit einer Hybridkamera dafür gesorgt, dass Präsenz- und Fernlehre gleichzeitig stattfinden. Bei Krankheit kann man dadurch einige Veranstaltungen bequem von Zuhause aus verfolgen.

In den Vorlesungen und Seminaren merke ich, wie wenig zwei Jahre Sprachstudium eigentlich sind. Wie schwer mir das Sprechen fällt im Vergleich zum Verstehen. Nach eineinhalb Stunden Veranstaltung bin ich froh, fast alles mitbekommen zu haben, und so erschlagen wie nach einer fünfstündigen Klausur. Wenn ich es bei einer Frage geschafft habe, die Hand zu heben und mit stockigen zwei, drei Worten zu antworten, fühlt sich das an, als hätte ich eben jene Klausur bestanden. Die heimischen Maßstäbe gelten hier nicht. Trotzdem, oder vielleicht deswegen, gehe ich gern zur Uni mit ihren freundlichen gelben Seminargebäuden und kühlen hohen Zimmern.

Es fühlt sich gut an, nach den isolierten eineinhalb Jahren digitalen Studiums wieder unter Menschen zu sein, mit den anderen Kursteilnehmenden in ungeschicktem Finnisch zu kommunizieren – wann fängt der Kurs an, wer macht die Tür auf, funktioniert der elektronische Schlüssel, es brennt? Achso, nur eine Lampe kaputt gegangen. Stinkt ziemlich. Und immerhin gab uns der Studienberater am Ende der Orientierungsveranstaltung auch nur einen Zweiwortsatz mit auf den Weg:

„Seid neugierig!“

Text und Bilder: Franziska Kraushaar

Das Kind im besetzten Land: die Sowjetzeit in der estnischen Literatur

Die Esten haben ein kompliziertes Verhältnis zu Russland. Noch heute ist man irgendwo zwischen Sowjetnostalgie und Angst vor einem neuen russischen Einmarsch. Jahrhundertelang war Estland von Russland besetzt und erst 1991 konnte sich die kleine Nation endgültig befreien. So wundert es nicht, dass Romane, die sich mit der Zeit der Besetzung auseinandersetzen, immer noch sehr beliebt sind, und auch noch geschrieben werden.
Wiederkehrende Motive: die Unterdrückung und die Bespitzelung, das ständige Misstrauen (s. auch Blogartikel zu Jaan Kross), die Anzahl der deportierten Menschen…

Wer die Zeit als Kind erlebt hat, hat zum Teil ganz andere Eindrücke. „In den Achtzigern hatten alle Arbeit und eine Wohnung. Jetzt gab es plötzlich neues Geld und fast alle waren arm“, sagt Riho Meister, der die Wiedererlangung der Unabhängigkeit als Sechsjähriger erlebte. Andere erinnern sich mehr an bunte Plastiktüten, seltsame Zeichentrickfilme wie von dem Igel, der sich im Nebel verläuft (siil udus), oder dem hüpfenden Ei mit Händen und Füßen (klaabu) und Kaugummipapier-Sammlungen, als an die Grausamkeiten der Sowjetzeit. Selbst der häufig genutzte Begriff „nõukogude aeg“ klingt irgendwie gar nicht so schlimm.

In Film und Literatur ist der kindliche Blickwinkel ein gern genutztes Mittel, um die Bedrücktheit ein Stück weit zu nehmen, andererseits die Brutalität noch deutlicher zu machen.
Ein Beispiel ist der Film Vehkleja (Der Fechter, 2015), der die Beziehung eines in den Fünfzigern verfolgten Lehrers zu seinen Schülern zeigt – er ist eine Vaterfigur für die Kinder, von denen die meisten bereits ihre Väter verloren haben, sei es durch den Krieg oder durch Stalins Deportationen.

Ein anderes Beispiel ist die Verfilmung von Leelo Tungals Autobiographie Seltsimees Laps (Die kleine Genossin, 2018), in der auch die Kamera so geführt wird, dass der Zuschauer alles aus Sicht eines Kindes erlebt. Die Mutter der sechsjährigen Leelo wurde nach Sibirien gebracht und nun beobachtet der Staat auch noch Leelos Vater. Eine der einprägsamsten Stellen des Films: Als Leelos Tante ruft, jetzt kämen sie noch alle ins Gefängnis, erwidert Leelo: „Wein doch nicht, in Sibirien triffst du Onkel Eino wieder!“

In der Literatur ist Ilmar Taskas Pobeda 1946 das wahrscheinlich eindrücklichste Beispiel. Der Roman erzählt die Geschichte eines namenlosen Jungen, dessen (ebenso namenloser) Vater zu Beginn aus dem Versteck im Hinterzimmer heraus verhaftet wird. Ist der Junge Schuld dran? Es geschah schließlich kurz nachdem er dem netten Onkel mit dem Pobeda von seinem Vater erzählt hat. Er vertraut dem Mann mit dem Auto, spielt Detektiv mit ihm und stellt ihn seiner Mutter vor. Dann verschwindet auch sie, und der Junge „darf“ nach Russland, ganz alleine mit dem Zug, um dort unter anderem Marschlieder zu lernen. Für ihn ist alles aufregend, und die Hoffnung, seine Eltern wiederzusehen, verschwindet nie. Zur Not sucht er sie eben selbst in Russland.

Die Namenlosigkeit vieler Charaktere zeigt die Austauschbarkeit ihrer Schicksale. Der Vater, der sich im Hinterzimmer versteckt, die Mutter, die versucht, das Kind zum Stillsein zu überreden, die deportierten Eltern – das kennt fast jede estnische Familie. Doch man darf nicht vergessen, dass auch zahlreiche Kinder deportiert wurden – nicht, weil sie „Volksfeinde“ waren, sondern damit sie es gar nicht erst würden.

Das Kind ist naiv, vorurteilsfrei. Es hat keine Angst, etwas Falsches zu sagen, hat keine Angst vor dem russischen Auto. Es sieht auch nicht, in welche Gefahr er hineinläuft, als es in das Auto des fremden Mannes, den es einfach nur Onkel nennt, einsteigt.
Doch das Urvertrauen des Kindes wird zwangsläufig irgendwann ruiniert. Ist der Pobeda-Onkel etwa gar kein guter Mensch?

Und während für den Jungen alles weniger bedrückend, eher aufregend ist, wird das Leseerlebnis umso bedrückender. Denn die Leserin weiß, in welche Gefahr das Kind sich begibt, was der Mann im Pobeda und das Verschwinden der Eltern bedeutet. Und auch, dass der Roman das Schicksal unzähliger Kinder in einem besetzten Land schildert.

Quellen
Literatur:
Martinez, Francisco. 2008. Remains of the Soviet Past in Estonia. London.
Taska, Ilmar. 2017. Pobeda 1946. Kommode Verlag. Zürich.
Film:
Klaabu (1978, Avo Paistik)
Seltsimees Laps (2018, Amrion; Regie: Moonika Siimets)
Siil udus (1975, Juri Borissowitsch Norstein (Original: Joschik w tumane))
Vehkleja (2015, Allfilm OÜ, Regie: Klaus Härö)

Sowie Gespräche mit Riho Meister (ERM) und Madis Hindre (ERR Vikerraadio).

Text & Bilder: Marina Loch

Die Bilder entstanden auf dem Sängerfest und am Maarjamäe kommunismiohvrite mälestusmärk, der Gedenkstätte für die Opfer des Kommunismus in Maarjamäe.

Der Nationalfeiertag der Samen

Der 6. Februar ist der Nationalfeiertag der Samen. An diesem Tag im Jahre 1917 kamen die Samen aus Norwegen und Schweden das erste Mal zusammen, um Lösungen für gemeinsame Probleme zu finden. Bei der 15. samischen Konferenz 1992 wurde der 6. Februar zum Nationalfeiertag bestimmt.

Die Samen (Sámi) sind das einzige indigene Volk der EU. Sie wohnen im nördlichen Fennoskandien und in Russland, in Sápmi, dem Kulturraum der Samen. Traditionell waren die Samen Nomaden und lebten von Rentierzucht, Robbenjagd und Fischerei. Die Anzahl der Samen kann nur geschätzt werden und beträgt etwa 50 000–100 000 Menschen. Die große Variation kommt dadurch zustande, dass die Definition eines Samen auf Merkmalen wie z. B. Sprache, nationale und kulturelle Identifizierung oder Ausübung der traditionellen Berufe basiert.

Bild: Ningyou/Drieakko

Samisch wird von etwa 24 000 Menschen gesprochen. Es handelt sich nicht um eine Sprache, sondern eine Gruppe von samischen Sprachen. Sie zählen zu den finnisch-ugrischen Sprachen und ihre nächsten Sprachverwandten sind die ostseefinnischen Sprachen. Die größte samische Sprache ist Nordsamisch (5), das von etwa 70%–80% der Sprecher des Samischen gesprochen wird. Weitere samische Sprachen mit bis zu 800 Sprechern sind Südsamisch (1), Lulesamisch (4), Skoltsamisch (6), Inarisamisch (7) und Kildinsamisch (8). Fast ausgestorben sind Umesamisch (2), Pitesamisch (3) und Tersamisch (9), als ausgestorben gelten Akkalasamisch und Kemisamisch.

Bild: Juanjo Marin

Zur samischen Kultur gehören eng die samischen Trachten, auf die die Samen sehr stolz sind. Häufig sind sie von Familienmitgliedern, Verwandten oder Bekannten gemacht worden und einzigartig nicht nur wegen des dekorativen Äußeren, sondern auch wegen der beinhalteten Informationen: Aus dem Anzug und seinen Teilen kann man sowohl das Geschlecht als auch die Heimat, die Familie und den Familienstand seines Trägers lesen. Die Trachten sind von großer Bedeutung und werden immer noch aktiv getragen.

Die samische Volksmusik nennt man Joik. Es handelt sich um relativ eintönigen Gesang, bei dem die Musik wichtiger ist als der Text. Traditionell hatte der Joik mehrere Funktionen im Alltag: Der Joik des Rentierhirten hat die Raubtiere von den Rentieren ferngehalten, gleichzeitig war er eine gute Erinnerungshilfe beim Denken an die Freunde oder an Ereignisse mit ihnen. In der Zeit vor der Christianisierung hat sich der Schamane mit Hilfe des Joiks und der Zaubertrommel in Ekstase versetzt. Da, wo die Joiktradition heute noch lebhaft ist, bejoiken die Menschen Orte, Plätze und Tiere aber als eine Art Guten-Tag-Gruß auch sich gegenseitig.

Wie viele Minderheiten, haben auch die Samen stark unter der Staatsgewalt der Mehrheiten leiden müssen: Bis zu den 1970ern wurde strenge Assimilationspolitik mit Internatsschulen und Wohnheimen ausgeübt, das ILO-Übereinkommen Nr. 169 der indigenen Völker wurde beispielsweise in Finnland immer noch nicht ratifiziert und die Besonderheiten der samischen Kultur, vor allem die Trachten, wurden zu Werbezwecken missbraucht.

Heute am 6. Februar empfehlen die Behörden in Norwegen, Schweden und Finnland, überall die offizielle samische Flagge mit den Farben aus den Saamitrachen und dem Bild einer Sonnen- und Mondscheibe hochzuhissen und den Nationalfeiertag der Samen zu feiern.

Quellen:

https://fi.wikipedia.org/wiki/Saamelaiskielet

https://fi.wikipedia.org/wiki/Saamelaiset

http://sanosesaameksi.yle.fi

https://www.suomenkielet100.fi/

Suomi 101

Zwei Jahreszahlen prägten die Geschichte Finnlands entscheidend: 1809 und 1917.

Nach einer fast 700-jährigen Zugehörigkeit zum Schwedischen Königreich (ca. 1154-1809) fiel Finnland 1809 als autonomes Großfürstentum kriegsbedingt an Russland. Der politische Status „Staat im Staat“ dauert fast 100 Jahre. In dieser Zeit führte Finnland (1906) als erstes Land in Europa das Frauenwahlrecht ein und wählte bei der Parlamentswahl (1907) die ersten weiblichen Abgeordneten der Welt.
Am 6. Dezember 1917 erklärte Finnland seine Unabhängigkeit von Russland und konstituierte sich als unabhängige Republik mit einem Präsidenten (später auch einer Präsidentin) als Staatsoberhaupt.Die sozialen Missstände waren zu Beginn der Unabhängigkeit so groß geworden, dass im Januar 1918 der Bürgerkrieg zwischen den sozialistischen „Roten“ und den bürgerlichen „Weißen“ ausbrach. Nach vier Monaten Krieg siegten die Weißen, die junge Nation war aber gespalten und die Wunden des Krieges waren nur schwer heilbar. Während des zweiten Weltkrieges verteidigte Finnland seine Unabhängigkeit gegen die Sowjetunion. Als Bedingung für den Waffenstillstand im Herbst 1944 musste der Kontakt zu den Deutschen abgebrochen werden, die an der Seite der Finnen in Lappland gekämpft hatten, was zum Lapplandkrieg zwischen Deutschland und Finnland geführt hat. Als Folge des Pariser Friedensvertrages verlor Finnland etwa 10% seines Gebietes und die Bevölkerung aus den abgetretenen Gebieten musste evakuiert werden. Eine Besatzung durch die Sowjetunion blieb den Finnen aber erspart und Finnland konnte seine Unabhängigkeit bewahren. Heute ist Finnland Mitglied der Vereinten Nationen und des Nordischen Rates (seit 1955), Mitglied der Europäischen Union (seit 1995), Mitglied der europäischen Währungsunion (seit 1999) und der Eurozone (seit 2002). 2017 feierte Finnland das einhundertjährige Jubiläum seiner Unabhängigkeit unter dem Motto „Yhdessä“ [Gemeinsam]. Das Festjahr wurde überall in Finnland sowie auch außerhalb der Landesgrenzen mit zahlreichen Veranstaltungen begangen. Die Feierlichkeiten begannen am 1.1.2017 und endeten am 6. Dezember 2017, dem Unabhängigkeitstag und zugleich Nationalfeiertag Finnlands.

 

Text: Christine Bethge, Bilder: Tiina Savolainen

Geschichte Estlands — 100 Jahre Selbstständigkeit

Die Geschichte Estlands ist lang (10.000 Jahre), die Geschichte des estnischen Staates ist kurz (100 Jahre): Nachdem Estland im 13. Jahrhundert durch die Deutschen und Dänen christianisiert worden war, herrschten dort unterschiedliche Mächte: der Deutsche Orden, die Könige von Dänemark, Schweden und Polen sowie die russischen Zaren. Stets gab es die deutschsprachige Ober- und die estnische, bäuerliche Unterschicht. In der nationalen Geschichtsschreibung wird diese Zeit gerne als „die 700-jährige Sklavenzeit“ bezeichnet. Tatsächlich wurde Estland aber in dieser Zeit auch ein Teil des westeuropäischen Kulturkreises. Im 19. Jahrhundert begann in Estland das sog. nationale Erwachen.

Am 24. Februar 1918 wurde in den Wirren des Ersten Weltkriegs und der Russischen Revolution die Republik Estland ausgerufen und anschließend im sog. Freiheitskrieg (1918-1920) verteidigt. Estland baute schnell ein selbstständiges politisches, wirtschaftliches und kulturelles Leben auf europäischem Niveau auf. Nachdem Hitler und Stalin 1939 Europa vertraglich unter sich aufgeteilt hatten, besetzte die Sowjetunion von 1944-1991 Estland. Die Bewahrung der estnischen Sprache und Kultur wurde zum Akt des Widerstandes gegen das totalitäre Sowjetregime.

Mit der sog. Singenden Revolution erlangte Estland im Jahre 1991 seine staatliche Unabhängigkeit wieder. Seit 2004 ist Estland Mitglied der NATO und der Europäischen Union, seit 2011 auch der Euro-Zone. Gerne wird das kleine Land als Musterschüler Europas bezeichnet. Im Jahr 2018 feiert die Republik Estland ihren 100. Geburtstag.

Text: Dr. Kadri-Rutt Hahn
Bilder: Katja Mattsson